Mediathek Alt und Jung in Deutschland – der demografische Wandel und die Folgen

2022 soll das Jahr der Jugend werden – dazu hat es die Europäische Union ausgerufen. Gleichzeitig werden Gesellschaften wie die unsere in Deutschland immer älter. Das stellt uns vor große Herausforderungen. Egal worüber wir aktuell diskutieren, von der Corona-Pandemie bis zur Klima-Krise, von Bildung bis zur Rente – wir landen immer wieder bei der Generationenfrage. Wie aber entwickelt sich die Bevölkerung in Deutschland? Wie wirkt sich der demografische Wandel aus? Und wie gehen junge Menschen damit um? Darüber sprechen wir in unserem Podcast StatGespräch diesmal mit zweien, die sich auskennen: Das ist einmal Bettina Sommer. Sie ist im Statistischen Bundesamt verantwortlich für Demografische Analysen. Und Katharina Swinka, Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz. Für diesen Podcast haben wir für Sie auch ein Transkript erstellt.

Transkript

Frau Sommer, wenn Sie an die Altersstruktur in Deutschland denken – beschreiben Sie doch mal, was kommt Ihnen da in den Sinn?
Sommer: Am ehesten denke ich da an einen Pilz.


Also das müssen Sie erklären!
Sommer: Gerne. Wir nutzen zum Veranschaulichen die sogenannte Bevölkerungspyramide. Das ist eine grafische Darstellung, bei der die einzelnen die Jahrgänge aufeinandergeschichtet werden, eben wie bei einer Pyramide. Das beginnt unten an der Basis mit den Kindern, die gerade geboren sind, also den 0-Jährigen, und setzt sich dann fort bis an die Spitze zum Alter 100. Derzeit sieht unsere Altersstruktur so aus, dass wir sehr viele Personen in der Mitte dieser Pyramide haben, die also etwas über 50 Jahre alt sind. Da gibt es eine richtige Auskragung, die sich nach oben hin verjüngt. Nach unten ist das Gebilde schmaler. Das sieht dann aus wie ein Pilz mit Hut.


Vor 55 Jahren wäre das Bild eher ein Tannenbaum gewesen – mit vielen jungen Menschen unten, einer sich verjüngenden Spitze der Hochbetagten und dazwischen einigen Einschnitten. Was ist denn da passiert?
Sommer: Machen wir es doch einmal ganz konkret. Ich bin Ende der 50er Jahre geboren. Frau Swinka, wie sieht das bei Ihnen aus?
Swinka: Ich bin Jahrgang 2002.
Sommer: Dann liegen zwischen uns über 40 Jahre. In dieser Zeit hat sich auch demografisch einiges getan und auch die Altersstruktur hat sich damit verändert. Ich gehöre ja zur Babyboomer-Generation – das sind die Personen, die Mitte der 50er bis Ende der 60er Jahre geboren worden sind. 1964 ist der geburtenstärkste Jahrgang, den es in Deutschland überhaupt gibt. Ich habe in der Schulzeit erlebt, dass es zu wenige Räume gab, dass man die Klassen ausgelagert hat in andere Gebäude. An der Uni war alles überfüllt, in den Seminarräumen saß man auf den Fensterbänken oder sogar im Flur. Und auch die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt schienen nicht immer so rosig; viele Bewerber kamen auf eine Stelle.
Und diese vielen jungen Menschen von damals sind heute eben die vielen Menschen zwischen Mitte 50 und Mitte 60 – und bilden sozusagen den Pilzhut. Daran sieht man auch, dass demografische Ereignisse sehr langfristig wirken, weil Menschen eben Jahrzehnte leben. Die Babyboomer-Generation wird man auch in 20 oder 30 Jahren noch in der Altersstruktur erkennen. Schon bald wird sie eine große Rentnergeneration bilden, der dann relativ wenige jüngere Menschen nachfolgen, weil nach dem Babyboom die Geburtenzahlen so stark zurückgegangen sind.
Im Jahr 2011 hingegen hatten wir die niedrigste Geburtenzahl seit 1946 zu verzeichnen. Das betrifft also mehr oder weniger Ihre Generation, Frau Swinka. Da sind wir sozusagen beim dünnen Stängel des Pilzes. Auch das wird für die Altersstruktur langfristige Folgen haben: Wir haben weniger potenzielle Mütter, weniger potenzielle Eltern und damit auch weniger Geburten, wenn sich die durchschnittliche Zahl der Geburten pro Frau nicht verändert. Die Schere zwischen den Gestorbenen und Geborenen würde weiter noch aufgehen, zumal ja die vielen älteren Menschen ins hohe Alter aufrücken, in dem man irgendwann stirbt. Die Bevölkerung würde also abnehmen, wenn wir nicht eine höhere Zuwanderung haben, die das ausgleichen kann. Überhaupt wächst die Bevölkerung in Deutschland seit 50 Jahren nur noch dank Zuwanderung – so lange haben wir schon Jahr für Jahr mehr Sterbefälle als Geburten.


Wie ist das für Sie, Frau Swinka, wenn Sie das hören? Wie blicken Sie in die Zukunft?
Swinka: Frau Sommer hat ja gerade die schönen Generationennamen angesprochen. Ich bin mit meinem Jahrgang so eine ganz eigenartige Mischung zwischen den Millennials und der Generation Z, und zu keiner kann man sich so richtig zuordnen. Trotzdem machen wir uns natürlich so unsere Gedanken um die Zukunft. Und das erste, was einem da in den Kopf kommt, sind die Renten. Auch wenn wir in der Schule nicht allzu viel darüber lernen, ist es den meisten doch bewusst oder sie hören es immer wieder von ihren Eltern, dass wir es schwer haben werden, unsere Renten zu erhalten. Weil eben dieses grafische Bild dann Realität wird, das Frau Sommer gerade beschrieben hat. Dass womöglich kaum noch jüngere Menschen da sein werden, um unsere Renten zu finanzieren, so wie wir die der älteren finanzieren müssen. Da ist es schon schwierig, positiv zu denken.
Ein weiteres großes Thema in unserer Generation ist natürlich die Klimakrise. Das ist auch eine Sache, über die man sich jetzt Gedanken machen müsste. Das passiert nicht in der älteren Generation, obwohl gerade sie aktuell etwas verändern kann – auch weil sie am bevölkerungsstärksten ist.


Sie blicken also nicht sehr optimistisch in die Zukunft. Frau Sommer, muss die jüngere Generation so schwarzsehen?
Sommer: Nein, das würde ich nicht sagen. Zum einen würden sie vielleicht frühere Generationen darum beneiden, wie es jetzt auf dem Arbeitsmarkt aussieht – oder wie es bis unmittelbar vor der Corona-Pandemie ausgesehen hat. Dass es nämlich eine hohe Nachfrage nach jungen Leuten gibt und nicht mehr Hunderte Bewerber um eine Stelle konkurrieren, sondern die Arbeitgeber um junge Leute werben müssen. Das ist schon mal eine positive Sache, die einem vielleicht heute ganz selbstverständlich vorkommt, es aber im Zeitverlauf nicht war. Und noch etwas zur Alterung an sich: Natürlich gibt es diese vielen älteren Menschen, die noch ein bisschen älter werden wollen und dazu ja auch gute Chancen haben, weil unsere Lebenserwartung in den letzten Jahren so gestiegen ist. Auch das wird für die jüngere Generation doch auch irgendwann mal positiv aussehen. Die ältere Generation heute ist schon viel gesünder als es ihre Vorgänger waren. Und das wird für Ihre Generation, Frau Swinka, in Zukunft vermutlich auch gelten. Sie werden profitieren vom Fortschritt der Medizin, von den verbesserten Lebensverhältnissen.
Von daher gibt es einiges, was zum Optimismus Anlass gibt. Und wie man mit dem Thema Rente umgeht – da kommt es darauf an welche Lösungen die Politik und wir als Gesellschaft erarbeiten, um mit dem Problem umzugehen. Die Rentenfinanzierung wird sicherlich schwieriger, wenn sich das Verhältnis zwischen Personen im Rentenalter und Personen im Erwerbsalter verändert. Da muss man sich halt überlegen, wie man dem entgegenwirkt. Und an Ihrer Stelle würde ich mir jetzt noch nicht so große Gedanken machen, wer mal Ihre Rente finanziert. Bis dahin gibt es noch Möglichkeiten einiges zu verändern, so dass die Zukunft vielleicht auch nicht ganz so aussehen wird, wie wir es derzeit abschätzen.


Frau Swinka, im Jahr 2020 war der Anteil der jungen Menschen an der Gesamtbevölkerung auf dem Tiefststand. Jeder zehnte Mensch in Deutschland ist zwischen 15 und 24. In anderen europäischen Ländern sah das ähnlich aus. Wie begegnet Ihnen diese Altersstruktur im Alltag? Fühlen Sie sich gar als Minderheit?
Swinka: Jeder zehnte Mensch, das sind aktuell etwas mehr als 8 Millionen. Ich würde nicht sagen, dass wir uns in der Minderheit sehen. Einfach aus dem Grund, dass es für Jugendliche, für junge Menschen normal ist, dass es immer mehr Ältere gibt. Es gab nie eine andere Realität. Aber wir haben natürlich trotzdem die Unterschiede gesehen zwischen Alt und Jung, gerade in den letzten Jahren noch stärker als zu anderen Zeiten. Einfach aus dem Grund, dass wir Wahlen hatten – bei Jung und Alt immer ein ganz großes Thema. Wir hatten die Europawahl und jetzt vor kurzem die Bundestagswahl, und da gab es nicht nur in den Medien, nicht nur öffentlichkeitswirksam, sondern auch hinter verschlossenen Türen, zu Hause, zwischen Großeltern und Enkelkindern, zwischen Eltern und Gleichaltrigen Diskussionen, welche die besseren Entscheidungen für die Zukunft sind. In der Öffentlichkeit wurde ja auch immer wieder thematisiert, inwieweit ältere Menschen und inwieweit jüngere Menschen entscheiden. Ein ganz großes Problem ist in dem Zusammenhang, dass sich dadurch, dass es mehr ältere Menschen gibt, da eine einheitliche Meinungsstruktur abbildet. In dem Fall sind jüngere Menschen tatsächlich in der Minderheit, und das hat sich bei den Wahlen gezeigt.
Wir jüngeren Menschen arbeiten natürlich für unsere Zukunft – das ist auch das, was ich in meiner Funktion tue. Wir machen das für die nachfolgenden Generationen, wir arbeiten für diejenigen, die drei, vier, fünf Jahre nach uns kommen. Und genau das Gleiche passiert ja in den meisten Fällen in der Politik auch. Deswegen gab es eben diese Diskrepanzen zwischen Alt und Jung. Viele Enkelkinder haben auch mit ihren Großeltern gesprochen und sie davon überzeugt, dass sie doch lieber in ihrem Sinne wählen sollten, weil sie doch noch eine längere Zeit auf dieser Erde verbringen und eine längere Zeit diese Entscheidung mittragen müssen.


Sie sprechen das Thema Repräsentanz und politische Mitbestimmung an, bei dem es um die Generationenfrage geht. Aber auch in der Corona-Pandemie gab es öffentliche Debatten, in denen die Altersstruktur eine Rolle spielte. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Swinka: Gerade in der Corona-Pandemie hat diese Schere zwischen Alt und Jung immer weiter gespalten und häufig auch sehr distanziert. Es ging immer um dieses „Junge muss Alt schützen“, „Alt muss Jung schützen“ und nie war es ein „gemeinsam“. Das wäre wichtig gewesen und ist immer noch wichtig – dass wir gemeinsam arbeiten. Von Anfang an hieß es, man müsse die Älteren schützen, diejenigen, die vulnerabel sind, und jetzt sitzen wir in der Schule mit einer Inzidenz von über 1000, über 2000 teilweise. Wir wurden zwar am Anfang der Corona-Pandemie als Schülerinnen und Schüler sehr wahrgenommen und waren sehr präsent, aber mittlerweile ist das wieder in den Hintergrund gerückt und wir sind auf der Prioritätenliste nicht mehr so weit oben wie wir es eigentlich sein sollten. Weil wir jeden Tag in die Schule gehen. Weil wir uns jeden Tag diesem Risiko aussetzen. Und weil viele junge Menschen immer noch nicht die Möglichkeit bekommen hatten, sich impfen zu lassen beziehungsweise oder das in einigen Fällen auch nicht dürfen. Ich denke, da ist es wichtig, miteinander zu arbeiten statt immer nur gegeneinander.


Sie haben zuvor von Meinungsbildung gesprochen, das gibt mir die Gelegenheit, noch einmal grundsätzlich auf das einzugehen, was das Statistische Bundesamt tut, nämlich mit Daten zur demokratischen Willensbildung beizutragen. Frau Sommer, mit Blick auf Ihre Bevölkerungsdaten – wozu erheben Sie die eigentlich?
Sommer: Bevölkerungszahlen sind ganz grundlegende Informationen, die für viele Entscheidungen herangezogen werden. Bei vielen ist gesetzlich geregelt, dass auf Bevölkerungszahlen beziehungsweise Einwohnerzahlen rekurriert wird. Dazu gehört zum Beispiel der Finanzausgleich, also der Ausgleich zwischen den Bundesländern, aber auch innerhalb eines Bundeslandes zwischen den einzelnen Kommunen. Auch bei den Zahlungen Deutschlands an die Europäische Union richtet sich der Indikator, nämlich das BIP pro Kopf, nach der Bevölkerung. Oder in Bezug auf die Wahlen: Die Einteilung der Wahlkreise richtet sich nach der Bevölkerungszahl.
Und wenn wir jetzt nicht nur an die Bevölkerungsstruktur oder den Bevölkerungsstand denken, sondern beispielsweise auch an die Geburtenzahlen und unsere Vorausberechnungen, die wir ja auch dazu vorlegen, dann hat es vor etwa 15 Jahren auf Basis dieser Zahlen ja auch eine lebhafte Diskussion in Deutschland gegeben. Es ging damals um Vereinbarkeit von Familie und Beruf und dass bestimmte Schichten zu wenige Kinder bekommen. Und diese Diskussion und letztlich auch unsere Zahlen haben dazu beigetragen, dass die Kinderbetreuungseinrichtungen erheblich ausgebaut wurden und das Elterngeld eingeführt wurde.


Und wer nutzt noch Ihre Daten?
Sommer: Auf der einen Seite sind das Ministerien. Dann ist die Wissenschaft sehr an unseren Zahlen interessiert, auch die Wirtschaft. Natürlich ist nicht zuletzt die Öffentlichkeit an Bevölkerungszahlen interessiert. Das dient ja auch der Selbstvergewisserung einer Gesellschaft. Man kann anhand der Daten auch abschätzen, wie viele Pflegebedürftige in den nächsten Jahren in Deutschland leben werden. Auch die künftige Wirtschaftsentwicklung hängt nicht nur Finanzen oder Kapital ab, sondern auch davon, wie viele Personen überhaupt bereitstehen, die Wirtschaftsleistung erbringen können – also wie viele potenzielle Erwerbstätige es in Zukunft geben wird. Und wir liefern auch die Basis für Berechnungen anderer Stellen, beispielsweise im Bildungsbereich. Und ganz aktuell sind es natürlich die Sterbefallzahlen, die im Zusammenhang mit Corona-Pandemie sehr gefragt sind.


Frau Swinka, den Bildungsbereich hat Frau Sommer gerade angesprochen – das ist Ihr Thema. Zu welchen Fragestellungen würden Sie sich da mehr oder bessere Daten wünschen?
Swinka: In erster Linie muss man natürlich schauen, wofür die Daten genutzt werden. Wenn wir in die Kommunen schauen, dann ist es natürlich primär wichtig zu wissen, wie viele Kinder geboren werden, wie viele Schulen braucht man und welche Schulformen – was ist da realistisch, womit können wir arbeiten. Als Kreis- und Bezirksschülerräte sind wir natürlich immer daran beteiligt zu schauen, wie sich die Schulplanentwicklung weiterentwickelt – und da sind diese Zahlen immens wichtig, um einfach zu überlegen, welche Schulen werden gebaut, welche Schulen werden benötigt, wie können wir das realisieren.
Auf Bundesebene beschäftigen wir uns gerade mit einem sehr sensiblen Thema – ich weiß nicht, ob Sie als Statistisches Bundesamt dazu Daten erheben können. In der Corona-Zeit haben wir gemerkt, dass viele Schülerinnen und Schüler psychisch unter der ganzen Situation leiden. Wir sind der Meinung, dass das, was jetzt gerade in den Köpfen junger Menschen passiert, sich natürlich auch auf die spätere Zeit auswirkt – auf ihre Arbeitsweise, ihre Lebensweise. Deshalb ist es vielleicht auch nicht ganz unerheblich zu wissen, wie die aktuelle Lage bei Schülerinnen und Schülern ist, wer psychische Probleme hat und Hilfe braucht – auch wenn es sehr, sehr schwierig ist, das auszusprechen.


Zumindest zum Thema Schulplanung kann Frau Sommer sicherlich wichtige Daten beisteuern. Unter anderem dafür berechnen Sie Jahrzehnte im Voraus, wie die Bevölkerung sich entwickelt. Wie gehen Sie da genau vor?
Sommer: Wir gehen von der aktuellen Bevölkerungsstruktur aus und müssen dann Annahmen treffen zu den einzelnen Komponenten, die die Bevölkerung verändern – die Geburten, die Sterbefälle sowie die Zuwanderung. Wir treffen also Annahmen, wie sich das Geburtsverhalten verändern wird, ausgedrückt in Zahl der Kinder pro Frau. Wie sich die Sterblichkeit entwickelt wird – dafür ist der Indikator die Lebenserwartung. Und wie sich das Wanderungsgeschehen verändern wird. Und diese Annahmen legen wir an auf die aktuelle Bevölkerungsstruktur und rechnen dann für das nächste Jahr aus, mit wie vielen Geburten, Sterbefällen und Nettowanderung ist zu rechnen. Diese Rechnung wird dann fortgesetzt – im Moment reicht sie bis ins Jahr 2060. Da wir aber natürlich auch nicht genau wissen, wie die Zukunft aussieht – das haben wir noch nicht geschafft –, müssen wir verschiedene Varianten für die einzelnen Komponenten nutzen. Variante 1 steht zum Beispiel für einen stärkeren Anstieg der Lebenserwartung, Variante 2 für einen schwächeren. Wir bieten also ein ganzes Set von Varianten zur künftigen Entwicklung an.
Was bedeutet es nun, wenn sich bei einzelnen Komponenten etwas verändert? Schauen wir uns die Auswirkungen der Corona-Pandemie an: Wird die Lebenserwartung dadurch sinken? Das kann man heute noch nicht sagen, ob wir nur vorübergehend in den betroffenen Jahren mehr Sterbefälle haben und eine niedrigere Lebenserwartung oder ob das auch die Zukunft prägt. Wenn wir aber annehmen, dass es so ist und von einer niedrigeren Lebenserwartung ausgehen als in früheren Berechnungen, dann hat das zur Folge, dass es in unserer Vorausberechnung in Zukunft weniger alte Menschen geben wird. Was tatsächlich eintritt, wissen wir nicht. Unsere Vorausberechnung beruht auf Wenn-dann-Aussagen: Wenn diese Annahme eintritt, haben wir jenes Ergebnis. Ein Beispiel für einen Effekt, der nur vorübergehend ist, hat auch mit Corona zu tun: Im Jahr 2020 war die Nettozuwanderung deutlich geringer als in den Vorjahren. Deshalb ist die Bevölkerung nicht mehr gewachsen, sondern ganz leicht zurückgegangen. Das könnte ein einmaliger Effekt gewesen sein, der die Zukunft nicht sonderlich prägt.


Lagen Sie mit Ihrer Vorausschau auch mal komplett daneben?
Sommer: Im Jahr 2015 gab es ja bekanntlich eine sehr starke Zuwanderung von Schutzsuchenden aus Syrien und anderen Ländern. Das war ein Ereignis, das man – zumindest in diesem Ausmaß – nicht vorhersehen konnte. Unsere damalige Vorausberechnung der Bevölkerungszahl war dann am aktuellen Rand und auf die mittlere Frist zu niedrig. Aber im Hinblick auf die Alterung und die langfristige Entwicklung der Bevölkerung machen selbst solche außergewöhnlichen Ereignisse gar nicht so viel aus. Sie verändern das Ganze etwas, aber sie stürzen nicht die langfristige Entwicklung um. Wir lagen also damals daneben, was die aktuelle Bevölkerungszahl anging, aber eben nicht komplett.


Der Weihnachtsbaum war also nicht auf den Kopf gestellt. Wo wir gerade so schön in die Zukunft schauen: Lassen Sie uns doch einen gedanklichen Zeitsprung ins Jahr 2050 machen. Frau Swinka ist gerade 48 Jahre alt geworden. Skizzieren Sie doch einmal die Altersstruktur, in der sie sich dann wiederfindet. Mit welchen Herausforderungen wird sie und Ihre Generation konfrontiert sein?
Sommer: Wenn sich die Bevölkerung künftig mehr oder weniger kontinuierlich entwickelt, das heißt, wenn sich die heute von uns beobachteten Trends in etwa fortsetzen, wird im Jahr 2050 das Bild der Altersstruktur wesentlich gleichmäßiger sein als heute. Die Zahl der unter 20-Jährigen wird dann ähnlich hoch sein wie die Zahl der Menschen ab 75. Der Anteil junger Menschen wird in etwa so sein wie heute. Was sich geändert haben wird, ist das Verhältnis der Bevölkerung im Rentenalter zur Bevölkerung im mittleren Alter, also im Erwerbsalter.


Jetzt haben wir mit Ihnen beiden zwei sehr unterschiedliche Repräsentantinnen einer Altersstruktur. Frau Sommer, gibt es eigentlich so etwas wie die ideale Altersstruktur? Wie sähe die denn aus?
Sommer: Wenn mal als ideal ansieht, dass es möglichst wenig Verwerfungen gibt und eine möglichst gleichmäßige Entwicklung, dann wäre das ideal vermutlich eine Pyramide, bei der die einzelnen Steine relativ lange relativ gleich lang sind. Das bedeutet, von den gerade Geborenen sterben nur ganze wenige Personen und die Sterblichkeit setzt erst im höheren Alter ein. Und unten kommen immer gleich viele Kinder nach. Das wäre vielleicht ein Ideal.


Das war die Antwort der Bevölkerungsstatistikerin – Frau Swinka, wie würde Ihre ideale Altersstruktur aussehen?
Swinka: Aus wirtschaftlicher Sicht schließe ich mich Frau Sommer an. Aus bildungspolitischer Sicht ist es für uns natürlich immer schön, mehr junge Menschen zu haben, mehr Kinder, mehr Jugendliche, und auch mehr Leute in meinem Alter, die dann auch wählen dürfen und ihre Stimme weitertragen für diejenigen, die das noch nicht können. Ein leichter Anstieg von unten wäre da ideal, aber natürlich hätten wir dann irgendwann wieder das Problem, das wir jetzt gerade sehen mit dem Pilz.