Mediathek Die Bedeutung von Daten und die Digitalisierung von Staat und Verwaltung

Textfassung des Podcasts "Statgespräch": Die Bedeutung von Daten und die Digitalisierung
von Staat und Verwaltung

Die Corona-Krise hat noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig Daten sind – als Basis demokratischer Willensbildung und als Grundlage für politisches Handeln. Umso wichtiger ist es, verlässliche Daten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Wie kann das besser gelingen? Vor welche Herausforderung stellt die Digitalisierung Staat und Verwaltung? Und welche Rolle spielt dabei das Statistische Bundesamt? Darüber sprechen wir in unserem aktuellen StatGespräch ¬– dem Podcast des Statistischen Bundesamtes – mit dem Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Herrn Dr. Markus Richter. Er ist Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik.

Herr Richter, welche Zahl hat Sie diese Woche überrascht?
Das war ganz klar die 252. Das ist die Zahl der Fälle, in denen das BMI das Schriftformerfordernis aus Gesetzesentwürfen entfernt hat. Wenn ein Gesetz im Entwurf vorliegt, dann geht das hier durch das BMI. Wir machen so eine Art Digitaltauglichkeits-Check und haben dabei 252 Schriftformerfordernisse identifiziert, die dann anschließend herausgestrichen worden, also gar nicht erst Gesetz geworden sind. Das ist natürlich eine wichtige Grundlage, wenn es um Digitalisierung geht – dass die Gesetze, die wir heute verabschieden, genau diesem Gedanken Rechnung tragen.

Worauf ich mit meiner Frage hinauswollte: Zahlen und Daten sind im digitalen Zeitalter zur Schlüsselressource für gesellschaftliche Teilhabe geworden und ebenso für staatliches Handeln. Umso wichtiger ist eine verantwortungsvolle Bereitstellung und Nutzung von Daten. Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang das größte Verbesserungspotenzial?
Ganz klar: Wir müssen Daten viel aktiver nutzen, um zum Beispiel staatliches Handeln besser zu machen, aber auch um Innovationen in der Wirtschaft zu ermöglichen und natürlich auch um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Und vor diesem Hintergrund, glaube ich, müssen wir noch viel ambitionierter werden. Erstens müssen wir wissen, wo welche Daten liegen und was die Quellen sind. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass die Daten so aufbereitet werden, dass sie leicht interoperabel zur Verfügung gestellt werden können. Natürlich müssen wir den legitimen Schutzinteressen jeweils Rechnung tragen. Also wenn es darum geht, Daten allgemein zur Verfügung zu stellen, müssen wir zum Beispiel dafür Sorge tragen, dass Anonymisierungen stattfinden, damit Daten offen geteilt werden können – Stichwort „Open Data“. Ich bin froh, dass es in der jetzigen Legislaturperiode gelungen ist, ein zweites Open-Data-Gesetz zu verabschieden, das genau in diese Richtung geht. Klar, man kann immer noch weiter denken, aber das war ein wichtiger Schritt nach vorne, bei dem es insbesondere darum geht, Datensätze der Bundesverwaltung maschinenlesbar zu gestalten und auf diesem Weg zugänglich zu machen. Ich finde aber auch wichtig, dass wir bei Open Data nicht nur immer die Verwaltung in den Blick nehmen, sondern auch dritte, andere Anbieter – wie Mobilfunkdaten. Das sind ja auch wichtige Erkenntnisquellen, die man sowohl im Amtlichen als auch im Nicht-amtlichen einsetzen kann. Wir müssen dazu kommen, dass wir denjenigen, die Daten anschließend nutzen wollen, zum Beispiel, um Entscheidungen zu treffen, auch Tools an die Hand geben – wie das Dashboard Deutschland vom Statistischen Bundesamt, bei dem es gerade darum geht, leichtgängig Daten miteinander verknüpfen zu können, sodass ich dann auch wirklich gute und nachvollziehbare Entscheidungen treffen kann.

Sie haben eben bereits die Rolle der Verwaltung dabei erwähnt. Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für Staat und Verwaltung?
Zunächst einmal haben wir ja gerade während der Corona-Pandemie gesehen, dass wir in vielen Bereichen großen Aufholbedarf haben, was das Generieren von Daten anbelangt und das anschließende Nutzen von Daten. Wenn man an den Bildungsbereich denkt, den Gesundheitsbereich, das sind klassische Themenfelder, die oftmals mit viel Kritik verbunden sind, wenn es um das Thema Digitalisierung geht. Ich glaube, wir müssen erkennen, dass Digitalisierung und auch das Einsetzen von Daten mehr ist als nur das Bereitstellen von Tablets im Unterricht. Es geht vielmehr darum, die Technik aktiv zu nutzen für inhaltliche Gestaltung, Prozesse zu reflektieren. Insofern bin ich davon überzeugt, dass wir nicht so sehr ein Erkenntnisthema haben, sondern vor allem Umsetzungsherausforderungen, die wir jetzt einfach angehen müssen. Die Bundesregierung selbst hat ja wirklich Geld in die Hand genommen, im Konjunkturpaket zum Beispiel für Verwaltungsdigitalisierung, hat gerade auch eine Datenstrategie verabschiedet mit konkreten Handlungsmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund kann man ganz klar sagen: Der Ball liegt vor dem Tor, wir müssen ihn jetzt wirklich reinmachen. Und deswegen finde ich es gut, dass wir auch im Föderalismus Ebenen übergreifend zusammenwirken. Das tun wir übrigens im Bereich der Digitalisierung so gut wie an kaum einem anderen Themenfeld. Ich bin eng vernetzt mit den CIOs der Länder, die sich selbst als Motor der Digitalisierung verstehen. Wir haben uns eine gemeinsame Agenda gegeben, wir alle fühlen uns verpflichtet, bis zum Ende des nächsten Jahres Verwaltungsleistungen digital bereitzustellen, und haben dazu auch das Prinzip „Einer für alle“ etabliert. Das heißt, eine oder einer von uns produziert eine Lösung, die die anderen dann übernehmen. Das schafft Effizienz und beschleunigt auch das Vorgehen. Wir müssen also unbedingt einen ganzheitlichen Ansatz fahren und dafür sorgen, dass der Weg zum Amt ersetzt wird, indem man so etwas auch digital abbilden kann. Das heißt aber auch, wir reden da nicht nur über Technik. Es geht auch um die Fachseiten in der Verwaltung. Dort findet Digitalisierung statt, und das bedeutet vor allem, Prozesse zu reflektieren. Es macht keinen Sinn, einen Prozess 1 zu 1 in eine digitale Welt zu überführen, sondern man muss sich schon überlegen, wie ich den Prozess noch besser, noch effizienter gestalten kann und wo mir dabei die Technik helfen kann. Dabei sind wir jetzt in den letzten Wochen und Monaten auch durch Corona deutliche Schritte vorangekommen. Wir müssen jetzt nur ganz konsequent da weitergehen und auch das Generieren und Nutzen von Daten wirklich zur Kern-DNA eines jeden Fachbereichs in der Verwaltung machen.

Sie haben jetzt schon den Prozess der Transformation angesprochen, lassen Sie mich nochmal einen Schritt zurückgehen zu einem Thema, das ich eingangs bereits erwähnt habe, nämlich die Bedeutung der Daten, die in Deutschland zunehmend in der Wirtschaft und in den Verwaltungen anfallen, für die demokratische Willensbildung. Welche Rolle spielt es dabei, einen sicheren Zugang zu den Informationen zu schaffen?
Demokratie braucht Daten, Daten brauchen Demokratie. Das ist ein Grundpfeiler unseres Staatsverständnisses. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes konnten sich damals noch nicht ausmalen, was alles mal über Daten möglich wird. Aber wir sind es diesem Land, wir sind es den Menschen und Unternehmen schuldig, die Erkenntnisse, die wir haben, zu nutzen, um zum Beispiel in solchen Pandemiezeiten bestmöglich präpariert zu sein. Das zahlt auch auf die Resilienz des Staates ein. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir – auch unter dem Stichwort Souveränität – wirklich ein gutes Verhältnis zu Daten haben und Daten als das sehen, was sie sind: ein wichtiges Hilfsinstrument, um Menschen in diesem Land zu helfen. Die Souveränität ist dabei ein ganz entscheidendes Stichwort: Dabei geht es doch darum, dass sowohl staatliche Institutionen als auch die Menschen und die Unternehmen selbst in der Lage sind, souverän darüber zu entscheiden: Welche Daten fallen von mir an, zu welchem Zweck gebe ich die Daten frei und bin damit einverstanden, dass diese Daten zum Beispiel von staatlichen Stellen genutzt werden. Dazu gehört auch Transparenz – wo sind meine Daten gespeichert. Ich glaube, dass wir da auch im Laufe der Legislatur nochmal einen deutlichen Schritt weitergekommen sind. Wenn ich an das Registermodernisierungsgesetz denke, das ja eine Möglichkeit eröffnet, dass Daten an einer Stelle gespeichert werden, nämlich dort, wo sie erhoben werden. Und – auch das ist Bestandteil dieses Gesetzes – dass ein Daten-Cockpit entsteht, mit dem Menschen von ihrem Handy aus mit einer App sehen können, wo sind denn meine Daten gespeichert. Und – idealerweise – dann auch selber entscheiden können, wann gebe ich die Daten wofür frei. Das ist der richtige Weg. Das machen wir im Moment übrigens auch in einem Projekt, wo es um Identitätsdaten geht. Das sind ja ganz sensible Daten, an denen viele Unternehmen ein großes Interesse haben, das sind kostbare Daten, und gerade da ist es so wichtig, dass wir diesen selbstsouveränen Ansatz wählen. Deshalb hat die Bundesregierung praktisch innerhalb von vier Monaten ein System gebaut, das auf dem Onlineausweis des Personalausweises beruht und wo in einem Wallet auf dem Handy die Daten liegen. Die liegen nicht zentral irgendwo alle auf einem Server, sondern nur bei mir selbst, in meinem Wallet im Handy. Und gerade wenn es darum geht, Daten zu veröffentlichen, Daten zu nutzen, Open Data zu betreiben, dann muss man eben auch Datenschutz großschreiben, denn das braucht viel Vertrauen. Und natürlich gibt es dazu alle Mechanismen, die man sich vorstellen kann, damit das funktioniert. Und wir haben auch bewiesen in der Praxis, dass das funktioniert und dass es auch wichtig ist.

Sie haben das sehr konkret gemacht, wie jede und jeder Einzelne künftig den Umgang mit seinen Daten steuern kann. Sie haben auch davon gesprochen, dass Demokratie Daten braucht und Daten Demokratie. Haben Sie dafür auch ein konkretes Beispiel, vielleicht aus Ihrem Arbeitsalltag in Berlin?
Absolut. Ich kann eines nennen vom Statistischen Bundesamt. Ich denke da an den Unfallatlas, der offene Statistik-Daten verbindet mit Kartendaten, also georeferenzierten Daten vom Bundesamt für Kartografie und Geodäsie. Ich finde das unwahrscheinlich spannend, weil man darüber räumlich abbilden kann, wo Unfall-Hotspots sind. Und wenn man diese Daten der Kommunalverwaltung zur Verfügung stellt und dort Maßnahmen getroffen werden, damit man vielleicht in der Straßenverkehrspolitik vor Ort etwas verändern kann, damit solche Hotspots entschärft werden, dann ist das wirklich etwas, das Mehrwert stiftet und genau der richtige Weg, um Menschen zu helfen. Oder ein weiteres Beispiel: die berechneten amtlichen Einwohnerzahlen. Sie stellen für ganz viele Dinge die Grundlage dar, zum Beispiel, aktuell mit Blick auf die Wahlen, für den Zuschnitt der Wahlkreise. Sie stellen aber auch für die Stimmenverteilung im Bundesrat eine Orientierung dar. Diese Daten finden heute schon in ganz vielen konkreten Beispielen Anwendung. Ich finde, das macht Mut für mehr und zeigt auch, dass wir tatsächlich damit Menschenleben retten können.

Für Bürgerinnen und Bürger, für Wissenschaft und Politik ist es angesichts der Datenflut zunehmend schwierig, sich einen Überblick zu verschaffen: Welche amtlichen Daten gibt es seitens des Staates und der Verwaltung zu meinem speziellen Thema? Und wo kann ich diese finden? Wie sollte man darauf reagieren?
Das ist ein wichtiges Thema. Wir haben ja heute schon das Meta-Datenportal GovData. Das ist im Grunde genommen so ein zentraler Einstiegspunkt, um auch Bürgerinnen und Bürgern einen Zugang zu einem breiten Spektrum offener Verwaltungsdaten zu ermöglichen. Allerdings – das muss man sehen – gibt es da die Einschränkung, dass sich die Auswahl nur auf jene Daten beschränkt, die von den Behörden über das Portal bereits veröffentlicht worden sind. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir darüberhinausgehend einen vollständigen Überblick über alle Datenbestände der Verwaltung eröffnen. Deswegen finde ich es große Klasse, dass beim Statistischen Bundesamt jetzt eine solche Verwaltungsdaten-Informationsplattform, kurz VIP, an den Start geht. Das ist genau so eine Plattform, die diese Transparenz schafft. Das ist eine Art Katalog der Daten, die in der Verwaltung bereits vorhanden sind. Natürlich sind in der VIP selbst keine Verwaltungsdaten drin, aber ich bekomme eben einen wunderbaren Überblick, sehr userzentriert, wie man heute so schön sagt, also anwenderfreundlich, und kann darüber dann auch weitere Datenkompetenzen entwickeln. Es erleichtert schließlich auch die Nutzung dieser Daten, wenn ich weiß, wo sie zu finden sind. Ich muss allerdings auch über die Skills verfügen, dass ich mit einem solchen Katalog umgehen kann, und bereit bin, diese Daten dann auch tatsächlich aufzurufen, zu nutzen, zum Beispiel über ein Dashboard, und dann eben auch zur Basis von Entscheidungen werden zu lassen oder zumindest zu einem Assistenzsystem. Deswegen haben wir jetzt gerade die Digitalakademie gegründet bei der BAköV. Die Digitalakademie stellt genau solche Kompetenzen, die ich dafür brauche im Umgang mit Daten in den Vordergrund, und da ist eine hervorragende Plattform entstanden, sehr leichtgängig auch mit einfachen Erklärvideos und mit der Möglichkeit sich zu vernetzen und Vertiefungsangebote wahrzunehmen. Das ist es, was wir brauchen, denn: Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten erkennen, dass wir zwar einen Digitalisierungsschub durch Corona erlebt haben, was Homeoffice und verschiedene Lebensbereiche anbelangt. Aber der eigentliche Schub der Digitalisierung wird jetzt erst noch kommen. Denn je mehr digitalisiert ist, desto größer wird der Digitalisierungsdruck, weiteres zu digitalisieren. Und die Professionen verschwimmen immer mehr miteinander: Die ITler mit den Juristen, zum Beispiel. Wissenschaftler müssen immer enger zusammenarbeiten, weil die Dinge recht eng miteinander verknüpft sind, und dafür brauchen wir genau solche Kompetenzen.

Ein Blick in die Zukunft – darauf werden wir gleich noch zurückkommen. Lassen Sie mich zunächst noch einmal die VIP ansprechen. Die Schaffung einer solchen Plattform ist ja auch ein wichtiger Baustein für die Umsetzung des sogenannten Once-Only-Prinzips. Welche Überlegungen stehen dahinter?
Das Once-Only-Prinzip besagt, dass der Staat Daten nur einmal erhebt. Das ist richtig unter dem Gesichtspunkt Datenschutz, ist aber auch von der Effizienz her geboten, denn die Menschen in diesem Land und auch die Unternehmen erwarten ja, dass sie ihre Daten nicht tausendmal abgeben müssen, sondern eben nur einmal. Und dass die Daten dann eben auch vorhanden sind, um automatisierte Prozesse in Gang setzen zu können. Ich finde es auch großartig, wenn man sich anschaut, was dann möglich wird. Ein Anwendungsbeispiel aus dem Bereich Statistik ist der geplante Registerzensus, der vollständig aus vorhandenen Daten gespeist werden soll. Damit entfallen aufwendigste Befragungen. Der Staat verfügt ja über diese Daten bereits, und dann macht es ja viel Sinn, dass wir sie für den Zensus nutzen und eben nicht mehr diese sehr aufwändigen händischen Befragungen machen. Ich denke, dass wir durch VIP jetzt in die Umsetzung kommen, das Once-Only-Prinzip großschreiben und damit auch die Voraussetzung schaffen für die Registermodernisierung insgesamt. Das hat sehr viele Bezüge zur Verwaltungsdigitalisierung insgesamt – damit kommen wir also einen großen Schritt weiter.

Wir haben schon über Open Data und aktuelle Datenbedarfe gesprochen. Das Statistische Bundesamt erreicht inzwischen auch deutlich mehr Open-Data-Anwenderinnen und -Anwender in GENESIS-Online, wir greifen auf alternative Datenquellen wie Mobilfunkanbieter zurück oder stellen neue Konjunkturindikatoren mithilfe von Mobilitätsdaten des Handels zur Verfügung, um auf das Bedürfnis nach Daten am aktuellen Rand noch stärker zu reagieren. Wie wichtig ist dieses Thema Datenaktualität Ihrer Einschätzung nach?
Die Datenaktualität ist das A und O. Wir reden da ja auch über real time oder zumindest near time – dass Daten dort, wo sie produziert werden oder entstehen direkt für Entscheidungsprozesse zur Verfügung stehen. Es ist so wichtig, dass wir vor die Lage kommen. Daten bilden die Grundlage, um auch antizipieren zu können und die Zukunft zu betrachten. Es gibt super Beispiele dafür, solche Modelle abzuleiten um zu erkennen, wo entstehen denn voraussichtlich wann welche Krisen? Und dann die Frage zu stellen, wo auf der Welt führt das dann zu Migration, vielleicht nach Europa oder nach Deutschland? Oder: Wie sieht es im Bereich der Kriminalität aus? Oder: Wo finden viele Unfälle statt? Vor diesem Hintergrund ist es so wichtig, dass wir – erstens – Daten haben, die wir so aufbereiten, dass wir daraus Zukunftsprognosen ableiten und vor der Lage sind. Aber auch dass wir – zweitens – in ganz konkreten Entscheidungsprozessen, wir reden da auch von „red flags“, das heißt, dass es dort, wo sich Entwicklungen abzeichnen, die irgendwie auffällig sind, rote Flaggen oder Hinweise gibt als Assistenzsystem, dass man mal genauer hinschauen kann und die Sachlage bewertet. Und dafür ist es entscheidend, dass wir wirklich vor die Lage kommen und aktuelle Daten haben. Deshalb gilt hier auch für die Statistik: „Doppelt gibt, wer schnell gibt“. Wir erleben einen viel höheren Mehrwert, wenn man schneller Daten zur Verfügung hat als wenn das zu lange dauert und die Daten dann doch veraltet sind.
Ein Beispiel dafür, wie auf aktuelle Datenbedarfe reagiert werden kann, haben Sie zu Beginn unseres Gesprächs schon genannt, das ist das Dashboard Deutschland. Ist das aus Ihrer Sicht ein guter Weg?
Absolut. Das ist genau der richtige Weg. Klar, wir machen mit der Digitalakademie viel, vermitteln Skills, wie man mit Daten umgeht und sie in Entscheidungsprozesse einbindet. Aber oft fehlt ja auch die Zeit, um sich aus vielen Datentöpfen selbst Dinge zusammenzuschustern. Da müssen wir besser werden, da brauchen wir Assistenzsysteme und da ist das Dashboard Deutschland absolut führend. Ich finde, das ist ein herausragendes Beispiel, wie es gelingen kann, hohen Qualitätsansprüchen und einer hohen Aktualität von Daten gleichermaßen gerecht zu werden. Und deswegen ist es so beindruckend, dass auch in den Ausbaustufen des Dashboards immer mehr Bereiche mit hineinkommen. Wenn ich zum Beispiel an das Dashboard „Branchen“ denke, wo zum Beispiel die Daten zu den Produktionserwartungen vom ifo-Institut miteinfließen oder zur Automobilproduktion vom Verband der Automobilindustrie. Das ist nicht nur etwas, was sich innerhalb der Verwaltung abspielt, sondern das Dashboard Deutschland eröffnet quasi genau den Weg zwischen der Wirtschaft, den Menschen in diesem Land und der Verwaltung, wichtige Entscheidungspunkte schnell, leicht erkennen zu können. Natürlich muss das auch dynamisch gestaltet sein und nicht aus statischen Datenblättern, ich muss mir das Dashboard als Nutzer selbst konfigurieren können. Das ist im Dashboard Deutschland in einer Art und Weise gelungen, wie es bei kaum einem anderen Beispiel kenne, und schon gar nicht in diesem breiten Kontext, was Verwaltungsdaten anbelangt und eben auch das Adressieren von Wirtschaft.

Wir haben wachsende Datenmengen, wir aber auch eine zunehmende Zahl von Datenanbietern, amtlicher wie nicht-amtlicher Daten, auch aus der Wirtschaft oder von Verbänden. Welche Rolle könnte das Statistische Bundesamt in diesem Datenökosystem Deutschlands spielen?
Das Statistische Bundesamt ist die Spinne im Netz. Das Statistische Bundesamt ist ein Garant für Qualität und Aktualität. Natürlich ist es so, dass Unmengen von Daten entstehen und auch im Internet verfügbar sind. Das Statistische Bundesamt kann nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass diese alle der Qualität entsprechen, wie man sie gerne haben möchte. Aber bei den Daten, die das Statistische Bundesamt dann einbezieht – zum Beispiel in ein Dashboard – oder eben auch Fremddaten wie die Mobilfunkdaten oder Registerdaten oder Daten aus anderen Bereichen, da sorgt das Statistische Bundesamt dafür, dass sie – ich will nicht sagen veredelt werden – aber doch mit einer Qualitätssicherung als Assets zur Verfügung stehen. Das finde ich einen großen Mehrwert. Das kann keine andere Institution in Deutschland so wie das Statistische Bundesamt. Das Amt ist frei von wirtschaftlichen Interessen, ist geleitet auf rechtlicher Basis, ist verpflichtet den Menschen in diesem Land – und vor diesem Hintergrund finde ich es großartig, wie aktiv das Amt diese Rolle annimmt. Man möchte es kaum erwarten, dass sich das bei einem Bundesamt so entwickelt. Ich finde es auch großartig, dass man mit künstlicher Intelligenz arbeitet, dass man alle Kompetenzen vorhanden hat, die man heute braucht, um genau diesem Auftrag gerecht werden zu können.

Herr Richter, lassen Sie uns zum Abschluss unseres Gesprächs noch einen Blick in die Zukunft werfen. Was wären denn Ihre drei größten Wünsche für eine gelingende Digitalisierung der Bundesverwaltung?
Da kann ich eines ganz klar nennen: Wir brauchen unbedingt mehr Mut. Das erlebe ich immer wieder. Es werden oft die Bedenken in den Vordergrund geschoben, gar nicht mal so sehr aus böser Absicht, sondern mehr, weil man vielleicht auch subjektiv das Gefühl hat, dass man mit einem kritischen Hinweis auch zu einem Ergebnis bei. Das stimmt auch grundsätzlich, aber wir dürfen doch die Augen nicht davor verschließen, dass wir letztendlich in Grauzonen unterwegs sind. Wir arbeiten auf gesetzlicher Basis, die Gesetze adressieren eine Vielzahl von Fällen, und ich muss jeweils gucken: Passt mein Sachverhalt unters Gesetz. Und was ist auch der Sinn und Zweck des Gesetzes. Und in dem Kontext für Klarheit zu sorgen, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen an jedem Arbeitsplatz in der Verwaltung – das ist genau das, was wir brauchen. Das erfordert Mut, das erfordert auch eine Fehlerkultur, eine Lernkultur. Das erfordert auch Akzeptanz in der Öffentlichkeit, aber wir müssen unbedingt noch Druck machen, dass das auch wirklich stattfindet und diese Räume entstehen, diese Entscheidungen treffen zu können.
Das zweite ist das Thema Datenschutz. Der wird immer als Hinderungsgrund für oder Gegenpol zur Digitalisierung genannt. Aus meiner Erfahrung ist genau das Gegenteil der Fall. Dort, wo man den Datenschutz quasi „by design“ von Anfang an mitberücksichtigt bei den Lösungen, finden wir eine hohe Akzeptanz bei den Gruppen, die diese Anwendung nutzen sollen. Insofern bin ich sehr überzeugt davon, dass wir nur den Datenschutz aktiv gestalten müssen. Das kann man nicht nur an Datenschutzbeauftragte wegdelegieren, sondern wir brauchen Datennutzungsbeauftragte, die auch genau da mitreden können und mutig eine Entscheidung treffen auf Basis der rechtlichen Rahmenbedingungen.
Und als letztes ist mir persönlich einfach Europa sehr wichtig; ich bin ja auch sehr vernetzt mit den CIOs der EU-Mitgliedstaaten. Ich glaube, wir müssen viel stärker das, was in Europa an Regularien entsteht, mit Leben füllen. Europa ist unwahrscheinlich gut darin, Frameworks zu bilden. Wir müssen aber darin noch etwas besser werden, einen Arbeitsmuskel zu etablieren. Ich bin sehr froh, dass jetzt auf Initiative der Niederlande so eine „Koalition der Willigen“ entstanden ist, wo wir zum Beispiel zusammen mit Frankreich eine Arbeitsgruppe bestreiten und uns genau über das Thema Datennutzung austauschen. Ich würde mich sehr freuen, wenn darüber auch ein Datenraum in Europa entstehen würde, über den wir dann zum Beispiel Open Data austauschen können.