Hauptstadtkommunikation Berliner Statistikgespräche
Industriekonjunktur in Deutschland: Zahlen und Stimmungen

Mit der Auftaktveranstaltung startete am 13. Mai 2025 unsere neue Veranstaltungsreihe der Berliner Statistikgespräche mit rund 100 Gästen im Hauptstadtbüro des Statistischen Bundesamtes und online per Livestream.

Das Thema Industriekonjunktur in Deutschland diskutierten unsere Experten anhand der Zahlen des Statistischen Bundesamtes und der Stimmungsindikatoren des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung.

Lukas Vogel (Statistisches Bundesamt) erklärte zunächst, wie Konjunkturdaten erhoben werden und welche Fallstricke bei der Interpretation der Daten bestehen. Mit Blick auf den Produktionsindex als ein Konjunkturindikator zeigte er, dass kurzfristige Schwankungen des Produktionsindex in den Medien nicht selten fälschlicherweise als Trends interpretiert werden. Kurzfristige Schwankungen können beispielsweise durch Großaufträge oder zeitweise Lieferengpässe, aber auch Wetterereignisse oder Streiks ausgelöst werden. Um aktuelle Trends erkennen zu können, müsse man zusätzlich die mittelfristige Entwicklung in den Blick nehmen, nur so könne man die nachhaltigen Veränderungen des Produktionsindex korrekt einschätzen.

In Hinblick auf die mittel- und langfristige Entwicklung sind in den letzten Jahren deutliche Rückgänge bei der Produktion etwa von Autos und Maschinen und insbesondere auch von energieintensiven Produkten wie Chemikalien und Stahlerzeugnissen zu beobachten. Ein Zuwachs ist hingegen in den Bereichen des Schiffs-, Flugzeug- und Zugbau zu beobachten. Neben dem Produktionsindex gibt es weitere konjunkturelle Indikatoren wie den Umsatzindex, der den Unternehmensumsatz im Inland und Ausland darstellt sowie Anzahl der Beschäftigten und der geleisteten Arbeitsstunden im Verarbeitenden Gewerbe.

Dr. Stefan Linz (Statistisches Bundesamt) griff anschließend die Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe, als weiteren Konjunkturindikator, auf. Aus der Bruttowertschöpfung der verschiedenen Wirtschaftsbereiche wird in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen das Bruttoinlandsinlandsprodukt berechnet. Im Vergleich zum Produktionsindex entwickelte sich die Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe in den letzten Jahren deutlich positiver. Die wachsende Diskrepanz ist Ausdruck des Strukturwandels in der Industrie. Während der Produktionsindex primär die Entwicklung des Realwertes der Warenproduktion abbildet, berücksichtigt die Bruttowertschöpfung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auch die zunehmenden nichtindustrielle Tätigkeiten der Industrieunternehmen. Zum einen werden Waren verstärkt mit produktbegleitenden Dienstleistungen gebündelt. Andererseits lagern viele Industrieunternehmen Teile ihrer Fertigung aus und konzentrieren sich vermehrt auf Tätigkeiten wie Forschung und Entwicklung, Design oder Vermarktung der Produkte. Dass solche Tätigkeiten im Produktionsindex nicht enthalten sind, muss bei der Interpretation der Konjunkturindikatoren berücksichtigt werden.

Wie es aktuell um die Industriekonjunktur bestellt ist und wie derzeitige Entwicklungen in der Industrie interpretiert werden können, thematisierte Prof. Dr. Timo Wollmershäuser (ifo Institut für Wirtschaftsforschung) in seinem Vortrag. Das ifo Institut befragt monatlich rund 9 000 Unternehmen zu ihrer aktuellen Lage und erwarteten zukünftigen Entwicklung. Die Befragungsergebnisse sind bereits am Ende des Befragungsmonats verfügbar und ermöglichen daher eine frühzeitige Einschätzung und Prognose der Industriekonjunktur.

Die Daten des ifo Instituts liefern darüber hinaus Informationen über die Ursachen der aktuellen konjunkturellen Entwicklung: So spielt der Mangel an Fachkräften seit den frühen 2000er Jahren eine immer stärkere Rolle und behindert die Produktionstätigkeit. Hier könnte man von einem längerfristigen strukturellen Problem sprechen, betonte Wollmershäuser. Aber auch Einschätzungen zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, ihrer Unsicherheit im Hinblick auf die weitere Geschäftsentwicklung und die aktuelle Kapazitätsauslastung tragen zum Konjunkturbild bei.

Das Fazit von Prof. Dr. Wollmershäuser ist ähnlich wie das von Dr. Linz: Hybride Geschäftsmodelle, bei denen die Produktion von Industriewaren um Dienstleistungen ergänzt werden, nehmen zu (siehe Aufsatz Lehmann, Linz, Wollmershäuser, 2025). Dies spiegelt sich auch in unterschiedlichen langfristigen Entwicklungen wider. Während der Produktionsindex im Trend seit dem Jahr 2018 sinkt, ist der Trend der Bruttowert­schöpfung bis zuletzt aufwärtsgerichtet. Somit geht der Strukturwandel im Verarbeitenden Gewerbe bislang nicht mit einer Deindustrialisierung einher, so Wollmershäuser. Vielmehr ist der Anteil der Industrie an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung weitgehend stabil.

Eine Diskussion zahlreicher Fragen aus dem Publikum, die anschließend bei einem Mittagssnack im Hauptstadtbüro weiter vertieft wurden, rundete den Nachmittag ab. Wir bedanken uns bei allen interessierten Gästen und Mitwirkenden, die zu einer gelungenen Auftaktveranstaltung beigetragen haben. Über eine Folgeveranstaltung informieren wir Sie rechtzeitig.

Programm und Präsentationen

  • Begrüßung und Moderation
    Stefan Dittrich, Abteilungsleiter "Unternehmen, Verdienste, Verkehr" im Statistischen Bundesamt
    und
    Dr. Susana Garcia Diez, Leiterin des Referats "Kommunikation Bundestag, Anfragen Bundesregierung, Veranstaltungen Berlin" im Statistischen Bundesamt
  • Industriekonjunktur: Was sagen die Zahlen?
    Lukas Vogel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Referat "Konjunkturindizes, Saisonbereinigung" im Statistischen Bundesamt
    und
    Dr. Stefan Linz, Referatsleiter "Konjunkturindizes, Saisonbereinigung" im Statistischen Bundesamt
  • Industriekonjunktur: Wie ist die Stimmung in den Führungsetagen
    Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Leiter der "Konjunkturforschung und -prognosen" und stellvertretender Leiter des "ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen" am ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V.

Aufzeichnung

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Das Statistikgespräch war mit rund 100 Gästen im Hauptstadtbüro und online gut besucht

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Moderiert wurde die Veranstaltung von Stefan Dittrich und Dr. Susana Garcia Diez (beide Statistisches Bundesamt)

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Lukas Vogel (Statistisches Bundesamt) bei seinem Vortrag

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Dr. Stefan Linz, Referatsleiter "Konjunktur­indizes, Saisonbereinigung" im Statistischen Bundesamt

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Prof. Dr. Timo Wollmershäuser (ifo Institut für Wirtschaftsforschung)

Die Vortragsreihe "Berliner Statistikgespräche" ist ein neues Format unserer Hauptstadtkommunikation. Die Reihe richtet sich an Interessierte aus Politik, Medien, Wirtschaft und Verwaltung und informiert über Erkenntnisse zu aktuellen Fragestellungen.