Hauptstadtkommunikation Interview mit Stefan Dittrich, Abteilungsleiter E, "Unternehmen, Verdienste, Verkehr" im Statistischen Bundesamt

Zukunftsprojekte der Unternehmensstatistik: Bessere Daten, mehr Effizienz

Was wird in den Unternehmensstatistiken schon jetzt gemacht, um zukünftig noch bessere Daten und mehr Effizienz zu erreichen? Im Interview mit Stefan Dittrich, Leiter der Abteilung "Unternehmen, Verdienste, Verkehr" im Statistischen Bundesamt erfahren Sie mehr darüber, welches Potential im Once-Only Prinzip zur Entlastung von auskunftsgebenden Unternehmen steckt und wie Unternehmensdaten für die Wissenschaft zugänglich gemacht werden. Außerdem spricht Herr Dittrich über Möglichkeiten zur Aktualitätssteigerung von Daten, wie Künstliche Intelligenz bei der Prozessoptimierung unterstützen kann und was es mit den Berliner Statistikgesprächen aus sich hat.

Herr Dittrich, Sie leiten seit Mai 2024 die Abteilung E im Statistischen Bundesamt und sind somit zuständig für mehr als 100 Statistiken, darunter viele Unternehmensstatistiken. Welche strategische Weichenstellungen möchten Sie in der Abteilung vornehmen?

Stefan Dittrich: Es gibt zwei grundsätzliche Herausforderungen, an denen wir in den nächsten Jahren weiterarbeiten müssen. Zum einen ist der technische als auch der manuelle Aufwand bei der Erstellung der Unternehmensstatistiken enorm. Ursächlich ist einerseits die große Anzahl der Unternehmensstatistiken kombiniert mit dem Ansatz, für jede Statistik ein individuelles Aufbereitungsverfahren umzusetzen. In Abteilung E wurden bereits in den letzten Jahren unter meinen Vorgängern große Anstrengungen unternommen, um durch die Einführung von Standardprozessen qualitative Verbesserungen und gleichzeitig eine Aufwandsreduktion zu ermöglichen.

Das zweite große Thema ist die Aussagekraft unserer Statistiken – bilden wir die Informationsbedarfe auch vor dem Hintergrund sich wandelnder Geschäftsmodelle der Unternehmen richtig ab. Unternehmen entwickeln sich laufend weiter – hier muss die Statistik mitgehen. Damit verbunden sind wichtige Aspekte wie die Abbildung komplexer Konzernstrukturen oder der Dienstleistungstätigkeiten von Industrieunternehmen. Ein anderes Beispiel sind die Verkehrsstatistiken: Seit der erfolgreichen Einführung des Deutschlandtickets ist die regional differenzierte Abbildung der ÖPNV-Nutzung schwieriger als zu Zeiten, als der Verkauf von Einzelfahrscheinen noch eine größere Rolle spielte.

Seit vielen Jahren können Unternehmen über das Online-Portal IDEV bequem und digital Daten an die amtliche Statistik melden. Wie sind hier Ihre Erfahrungen mit der online-Meldung und welche Entwicklungen sind in diesem Bereich noch geplant?

Stefan Dittrich: Wir sind sehr froh, dass Papierfragebögen bei den Unternehmens­statistiken der Vergangenheit angehören und nehmen dabei auch von den Auskunftspflichtigen eine große Zustimmung war. Die Herausforderung bei online-Meldungen liegt darin, den Komfort weiter zu erhöhen und gleichzeitig steigende sicherheitstechnische Anforderungen adäquat umzusetzen. Ähnlich wie wir es von den großen Einkaufsportalen kennen, arbeiten wir derzeit daran, ein Eingangsportal für alle Meldenden zu etablieren und so gerade bei Auskunftspflicht für mehrere Statistiken den Zugang und auch die Kommunikation mit uns noch weiter zu erleichtern. 

Im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung wird das Once-Only Prinzip angestrebt. Ziel ist es, dass Bürger und Unternehmen bestimmte Standardinformationen den Behörden nur noch einmal mitteilen müssen. Sehen Sie in der Unternehmensstatistik Potenzial für eine entsprechende Entlastung der Befragten?

Stefan Dittrich: Die Entlastung der Berichtspflichtigen durch die Nutzung bereits vorliegender Informationen ist eines unserer zentralen Anliegen. Dabei wird nach meiner Erfahrung jedoch das noch ungenutzte Potential von Daten, die bei staatlichen Stellen vorliegen, zur Entlastung von statistischen Berichtspflichten überschätzt. Bereits heute nutzen wir zur Pflege des Unternehmensregisters umfangreiche Datenlieferungen beispielsweise der Bundesagentur für Arbeit und der Finanzverwaltung. Diese Daten allein reichen jedoch wegen eines beschränkten Merkmalsumfangs und auch fehlender Aktualität nicht aus, um auf Befragungen zu verzichten. Wir beobachten hier kontinuierlich, inwiefern weitere Datenbestände genutzt werden könnten, ich sehe jedoch ein größeres Potential in der automatisierten Nutzung von Informationen, die im Rechnungswesen der Unternehmen bereits vorliegen. Für die Verdiensterhebung konnten wir durch eine bessere Abstimmung des Fragenprogramms auf die Softwaresysteme der Unternehmen eine automatisierte Datenübermittlung umsetzen. Rund 75 % der Unternehmen nutzen dieses Angebot bereits und haben daher keinen Aufwand mehr bei der Beantwortung von Statistikfragen - sie müssen lediglich die Datenübermittlung veranlassen.

Insbesondere aus der Wissenschaft kommt häufig der Wunsch nach einer besseren Verknüpfbarkeit von amtlichen Daten. Ist das auch in der Unternehmensstatistik ein Ziel, an dem Sie arbeiten?

Stefan Dittrich: Über das Unternehmensregister sind bereits jetzt die meisten Unternehmensstatistiken untereinander verknüpfbar und die Daten über die Forschungsdatenzentren auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zugänglich. Zudem gab es mit AFiD und KombiFID zwei Projekte, in denen umfangreich die Daten verschiedener Unternehmensstatistiken im Zeitablauf und sogar mit anderen Datenproduzenten zusammengeführt wurden. Leider sind der Verknüpfung jedoch fachliche Grenzen gesetzt, da wir in den Statistiken meistens nur Unternehmen bestimmter Wirtschaftsabschnitte oder Stichproben befragen. Damit liegen nur für relativ wenige Unternehmen Angaben aus mehreren Statistiken vor, die sich verknüpfen lassen. Ein größeres Potential sehe ich daher in einem generell verbesserten Datenzugang für die Wissenschaft, wie er bereits im Rahmen eines Forschungsdaten­gesetzes angedacht war. Gerade wenn wir nur in einem begrenzten Umfang Unternehmensdaten zusammenführen können, ist es umso bedauerlicher, wenn wir vor der Nutzung durch die Wissenschaft diese Daten noch umfassend anonymisieren müssen. Ein weiter gehendes Wissenschaftsprivileg würde – unter Beachtung datenschutzrechtlicher Erfordernisse bei der Veröffentlichung – das vorhandene Potential der Daten deutlich besser nutzbar machen.

Unternehmen werden in ihrer Form und Struktur immer komplexer und sind in vielen Fällen international aufgestellt. Wie kann die amtliche Statistik dieser Komplexität gerecht werden?

Stefan Dittrich: In der amtlichen Statistik gibt es auf Bundes- und Landesebene viele Kolleginnen und Kollegen, die an der Verbesserung der Datenlage bei komplexen Unternehmen arbeiten. In einem der Referate versuchen wir, komplexe Unternehmen im Rahmen eines Profilings besser abzubilden, das heißt die Querverbindungen zu identifizieren zwischen rechtlichen Einheiten, die wirtschaftlich zusammengehören und eine Einheit bilden. Das ist notwendig, weil wir sonst wirtschaftliche Strukturen falsch darstellen, beispielsweise, wenn ein produzierendes Unternehmen die Bewirtschaftung seiner Immobilien oder den Vertrieb der produzierten Produkte in eigene Gesellschaften ausgliedert.

Für größte internationale Unternehmensgruppen haben wir eine Large Case Unit, in der speziell geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Angaben der Unternehmen in verschiedenen Statistiken abgleichen, um Inkonsistenzen aufzudecken und diese unter anderem mithilfe der Unternehmen bereinigen. Bei dieser Tätigkeit ist profundes Wissen über das betriebliche Rechnungswesen, Konzernverflechtungen und die Abbildung in den verschiedenen Statistiken notwendig. Für die Untersuchungen werden neben frei verfügbaren Unternehmensberichten auch direkte Gespräche mit den Unternehmen und Unternehmensgruppen geführt.

Konjunkturstatistiken sind der Pulsmesser der wirtschaftlichen Aktivität eines Landes. Dabei spielt Aktualität eine zentrale Rolle. Welche Anstrengungen unternehmen Sie, damit der Zeitverzug bis zur Veröffentlichung der Zahlen noch geringer wird?

Stefan Dittrich: Ich glaube bei der Aktualität der Konjunkturstatistiken sind wir – auch im internationalen Vergleich – bereits sehr gut aufgestellt. Wir veröffentlichen die meisten Konjunkturstatistiken zwischen 30 und 65 Tagen nach dem Berichtsmonat. Für die Datenaufbereitung und Qualitätssicherung stehen dabei zum Teil lediglich wenige Tage zur Verfügung. Unsere Herausforderung liegt bei den Konjunkturstatistiken eher darin, diese kurzen Fristen auch bei IT-Umstellungen oder Klassifikationswechseln einzuhalten. Im vergangenen Jahr ist uns das leider bei einer größeren IT-Umstellung in einer Statistik nicht gelungen, so dass wir mehrfach Verzögerungen hatten. Dies ist ärgerlich für die Nutzenden und die Vermeidung solcher Verzögerungen daher ein besonderes Anliegen für uns.

Wir arbeiten allerdings auch an ergänzenden Statistiken aus alternativen Datenquellen und an Frühschätzungen. Zum Beispiel gibt der Lkw-Maut-Fahrleistungsindex frühe Hinweise zur Entwicklung der Wirtschaftsaktivität in Deutschland, dieser Indikator ist schon 8 Tage nach Ende des Berichtsmonats verfügbar. Weitere Projekte sind Frühindikatoren auf der Basis von Umsatzsteuervoranmeldungen, Scannerdaten der Einzelhandelsunternehmen oder Passantenfrequenzen in den Fußgängerzonen. Außerdem untersuchen wir, inwieweit mit den Ergebnissen für diejenigen Unternehmen, die besonders frühzeitig gemeldet haben, erste Schätzergebnisse erzeugt werden können.

Gibt es in der Unternehmensstatistik Projekte oder Prozesse, bei denen Methoden der Künstlichen Intelligenz eingesetzt werden?

Stefan Dittrich: Ja, auch für die Unternehmensstatistiken sehen wir Möglichkeiten für den Einsatz von Methoden Künstlicher Intelligenz (KI). Dabei konzentrieren wir uns aktuell auf Prozesse, bei denen sich Abläufe häufig wiederholen und durch den KI-Einsatz Qualitätsverbesserungen und Ressourcenoptimierung erreicht werden können. Bei diesen Prozessen haben wir zudem den Vorteil, dass umfangreiche "Trainingsdaten" aus bestehenden Statistiken vorliegen. Bereits seit einigen Jahren verbessern wir beispielsweise mithilfe von KI die Kennzeichnung von Handwerksunternehmen im Unternehmensregister. Zudem läuft derzeit ein internes Projekt zur Nutzung von KI für die Klassifikation von Wirtschaftszweigangaben im Bereich der Gewerbeanzeigenstatistik. Die Übereinstimmung der KI-Ergebnisse mit manueller Kodierung ist nicht fehlerfrei. Ein weiteres Projekt beschäftigt sich mit der Optimierung der Abläufe zur Plausibilisierung gemeldeter Einzeldaten. So werden im derzeitigen Produktionsprozess die gemeldeten Einzeldaten der Unternehmen noch größtenteils manuell oder teilautomatisiert plausibilisiert. Unser Bestreben ist es, zukünftig neue Verfahren wie Machine Learning dahingehend zu nutzen, sodass manuelle Plausibilitätsprüfungen und die Korrektur von Einzeldaten automatisiert und ressourcenschonend ablaufen kann. Dies ist vor dem Hintergrund sinkender Personalressourcen notwendig, wenn die Statistiken auch weiterhin qualitativ gute Ergebnisse liefern sollen.

Zur Verbesserung eines Angebots ist Feedback immer wichtig: Wie bleiben Sie mit den Nutzerinnen und Nutzern Ihrer Daten im Austausch?

Stefan Dittrich: Der Austausch mit Nutzerinnen und Nutzern als auch mit den Auskunftspflichtigen ist für uns essentiell, um die richtigen Prioritäten zur Weiterentwicklung der Statistiken zu setzen. Mit der Wissenschaft, Verbänden aber auch Unternehmensvertretern stehen wir durch institutionalisierte Gremien wie dem Statistischen Beirat, Fachausschüssen oder Nutzertagungen im Kontakt. Daneben sind Fachtagungen wie die Statistische Woche der Deutschen Statistischen Gesellschaft wichtige Austauschformate für uns. Sehr gute Einblicke in die Möglichkeiten und Bedarfe der Unternehmen bekommen wir darüber hinaus bei den bereits erwähnten direkten Unternehmenskontakten im Rahmen der Arbeiten der Large Cases Unit und des Unternehmensprofilings.

Zudem planen wir eine neue Veranstaltungsreihe "Berliner Statistikgespräche. Unternehmen und Konjunktur", die sich an Interessierte aus Politik und Medien richtet und in der wir über aktuelle Fragestellungen der Unternehmensstatistiken diskutieren möchten. Die Auftaktveranstaltung findet am Dienstag, dem 13. Mai 2025 im Hauptstadtbüro des Statistischen Bundesamtes statt (Anmeldung per E-Mail an hauptstadt-events@destatis.de).

Vielen Dank für das Interview!