Hauptstadtkommunikation Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Gesundheits­statistik – Interview mit Peter Bleses und Karin Böhm

Zusammenfassung

Die Bedeutung der Gesundheitsstatistik für Politik und Gesellschaft ist seit der Covid-19-Pandemie stark gestiegen. Insbesondere der plötzliche Bedarf an tagesaktuellen Daten zu Krankenhäusern und Todesursachen hat die Gesundheitsstatistik vor Herausforderungen gestellt, auf die das Statistische Bundesamt kurzfristig reagiert hat. Zeitlichen Verzögerungen in der Veröffentlichung der Daten ist vor allem auf die aufwändige Reform zur Umsetzung der geänderten Krankenhausstatistik-Verordnung sowie verspätete Datenmeldungen durch pandemiebedingten Personalmangel in Krankenhäusern und Statistischen Landesämtern zurückzuführen.

Im Interview zeigen Peter Bleses (Abteilungsleiter Gesundheitsstatistik) und Karin Böhm (Gruppenleiterin Gesundheitsstatistik) verschiedene Möglichkeiten auf, wie die Veröffentlichungsfristen zukünftig verkürzt werden können, beispielsweise durch eine reduzierte Anzahl an erfassten Merkmalen oder durch die Einführung elektronischer Erhebungsinstrumente wie der Elektronischen Todesursachenbescheinigung. Um die Verfügbarkeit von Daten auch langfristig zu beschleunigen, ist eine flexibilisierte Gesetzgebung als Grundlage notwendig. Der Gesetzgeber spielt damit eine entscheidende Rolle bei der Zukunft der Gesundheitsstatistik.

Interview zur Zukunft der Gesundheitsstatistik

Im Interview zu den Lehren aus der Pandemie berichten Abteilungsleiter Peter Bleses und Gruppenleiterin Karin Böhm über Auswirkungen auf die Gesundheitsstatistik.

1. Die COVID-19 Pandemie hat viele Bereiche unseres Lebens verändert – vom Einkaufen über das Reiseverhalten bis hin zum Bildungssystem. Die Auswirkungen auf den Gesundheitssektor waren natürlich besonders ausgeprägt. Was sind die wichtigsten Auswirkungen des neuen Virus auf die Gesundheitsstatistik?

Die COVID-19 Pandemie hat das ohnehin schon große Interesse an aktuellen Gesundheitsdaten nochmals deutlich gesteigert. Gefragt sind insbesondere Daten rund um die Versorgung von Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern, die Auslastung von Krankenhäusern und die Sterbefälle nach Todesursachen, möglichst in Echtzeit bzw. tagesaktuell. Kurzfristig ergab sich allerdings wenig Spielraum auf pandemiebedingte Bedarfe zu reagieren, da die Gesundheitsstatistiken überwiegend jährlich ermittelt werden und in dem, was sie abbilden, durch Gesetze und Verordnungen festgelegt sind. Mit längerer Perspektive hat das Statistische Bundesamt deshalb Maßnahmen gestartet, mit Hilfe derer die Aktualität der Daten gesteigert und die abgebildeten Gesundheitsthemen erweitert werden sollen. Vorrangig sind dabei aktuellere Daten der Krankenhausstatistik und der Todesursachenstatistik. Thematische Erweiterungen sind zu COVID-19 bereits umgesetzt und zum Personal im öffentlichen Gesundheitsdienst und zu den Krankheitskosten geplant.

2. In der Pandemie wurde der Bedarf an sehr kurzfristigen Daten deutlich. Welche Faktoren führen denn derzeit dazu, dass Daten erst mit einigem Zeitverzug veröffentlicht werden? Gibt es konkrete Pläne wie man diese Fristen künftig reduzieren möchte?

Bei der Krankenhausstatistik resultieren die zeitlichen Verzögerungen vor allem aus einer aufwändigen Reform, die notwendig war, um die geänderte Krankenhausstatistik-Verordnung fachlich und technisch umzusetzen. Hinzu kam, dass sich neue Zuständigkeiten für die Programmierung der Änderungen ergeben haben, was schon ohne reformbedingte Arbeiten herausfordernd ist. Zusätzlich hat die COVID-19 Pandemie zu teils erheblichen Personalengpässen bei den berichtspflichtigen Einrichtungen und in den Statistischen Ämtern geführt. Auch zählt die Krankenhausstatistik nicht zu den Statistiken, die die Statistischen Ämter im Rahmen der COVID-19 Pandemie priorisiert haben. Die Geduld der Datennutzerinnen und -nutzer wird aber belohnt: Im April werden zusätzliche Daten bezogen auf Standorte der Krankenhäuser verfügbar sein.

Die termingerechte Aufbereitung der Todesursachenstatistik war dadurch erheblich erschwert, dass Statistische Ämter Angaben zur Statistik von den Gesundheitsämtern nach wie vor in Papierform erhalten, obwohl eine gesetzliche Pflicht zur elektronischen Datenlieferung für die Gesundheitsämter durch § 11a Bundesstatistikgesetz besteht. Darüber hinaus liefern Gesundheitsämter die Todesbescheinigungen oft nicht zeitnah an die Statistischen Landesämter. Auch Personalengpässe in den Statistischen Ämtern haben zum zeitlichen Verzug beigetragen. Da vor Ermittlung des Bundesergebnisses der Todesursachenstatistik ein sogenannter Länderaustausch von Angaben zu Sterbefällen stattfinden muss, deren Sterbeort in einem anderen Bundesland als der Wohnort der verstorbenen Person liegt, bestimmt die langsamste Aufbereitung das Gesamttempo der Statistik.

Selbstverständlich sollen die Zeitpläne für die Veröffentlichung der Daten so schnell wie möglich wieder eingehalten werden. Zusätzlich diskutieren die Statistischen Ämter mögliche Maßnahmen, wie die Aktualität der Gesundheitsstatistiken weiter gesteigert werden kann. Sie haben beispielswiese ein Kompetenzteam Krankenhausstatistik eingerichtet, das sich zunächst darum kümmert, die Anwendung weiter zu ertüchtigen, um die Aufbereitung der Statistik so effizient wie möglich zu gestalten. Eine weitere Möglichkeit für aktuellere Daten wird darin gesehen, zunächst Angaben mit deutlich reduziertem Merkmalskranz zu veröffentlichen. Auch die Möglichkeit, fehlende Daten zu schätzen, wird diskutiert.

Bei der Todesursachenstatistik haben die Statistischen Ämter die jährliche Statistik erfolgreich um eine monatliche Komponente ergänzt, um den Einfluss von COVID-19 und anderer Todesursachen auf die Sterblichkeit darzustellen. Die amtliche Statistik hat damit auf den großen Informationsbedarf der Öffentlichkeit und der Fachwelt zum Thema COVID-19 reagiert. Erstmals konnten Anfang Juli 2021 ausgewählte vorläufige Ergebnissen zu den Todesursachen für die Monate Januar bis Dezember 2020 veröffentlicht werden. Die Sonderauswertung zu den vorläufigen monatlichen Todesursachen wird weiterhin regelmäßig aktualisiert.

Die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten der Todesursachenstatistik hängen entscheidend davon ab, ob und wie schnell in Deutschland eine elektronische Todesbescheinigung eingeführt wird. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) pilotieren das Statistische Bundesamt und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) derzeit eine bundeseinheitliche elektronische Todesbescheinigung. Vom Erfolg der Pilotierung und politischen Willen insbesondere in den Ländern wird es abhängen, ob und wie schnell die elektronische Todesbescheinigung zum Einsatz kommen wird. Eine verzögerungsfreie Meldung von Todesursachen würde nicht nur die Bewältigung der aktuellen Krise unterstützen, sondern könnte zukünftig auch eine Pandemie-Früherkennung möglich machen. Der zentrale Baustein für eine Beschleunigung der Todesursachenstatistik ist eine vollständige Digitalisierung des Datenflusses. Ein gemeinsamer Vorschlag von Bund und Ländern soll den Weg zur zeitgemäßen Verarbeitung von Todesursachen ebnen.

3. Die COVID-19-Pandemie hat sicherlich auch Lücken in der Gesundheitsstatistik aufgezeigt. Welche legislativen Bedarfe ergeben sich aus Ihrer Sicht? Welche Rolle spielt der Gesetzgeber bei der Zukunft der Gesundheitsstatistik?

Bis vor kurzem hatten die gesundheitsbezogenen Rechensysteme zu den Gesundheitsausgaben, den Krankheitskosten und zum Gesundheitspersonal keine nationale Rechtsgrundlage, sondern lediglich europäische Teilregelungen. Ohne rechtliche Regelungen waren die Rechensysteme jedoch grundsätzlich anfälliger gegenüber Ressourcenbedarfen höher priorisierter Aufgaben. Am 1. Oktober 2021 ist das Gesundheitsausgaben- und -personalstatistikgesetz (GAPStatG) in Kraft getreten. Es regelt, dass zur Gewinnung von Strukturinformationen über die Höhe der Gesundheitsausgaben und ihre Finanzierung, über die Krankheitskosten sowie über das bundesweit und regional zur Verfügung stehende Gesundheitspersonal statistische Erhebungen als Bundesstatistiken durchgeführt werden. Das BMG wird darin ermächtigt, durch Rechtsverordnungen das Nähere zur Durchführung der Statistiken zu regeln. Der Entwurf einer Verordnung zur Durchführung der Erhebungen nach dem Gesundheitsausgaben- und -personalstatistikgesetz wird derzeit vorbereitet. Er zielt darauf ab, die Verfügbarkeit verlässlicher Daten zu den ökonomischen Strukturen und personellen Ressourcen im Gesundheitswesen sicherzustellen. Dies soll durch eine entsprechende Verankerung der Datenquellen erreicht werden, die neben Bundestatistiken und allgemein zugänglichen Quellen bei ausgewählten Datenhaltern flächendeckend vorhanden sind.
Ein anderes Beispiel aus der Todesursachenstatistik: Bislang gibt es im Gesetz nur einen Verweis auf die 16 Totenscheine der Länder. Deshalb sollten die Datenfelder, die für die Todesursachenstatistik erforderlich sind, im Bevölkerungsstatistikgesetz explizit benannt werden. Im Bevölkerungsstatistikgesetz gibt es bislang nur einen Verweis auf die sechzehn Totenscheine der Länder. Deshalb sollten insbesondere die Datenfelder einer elektronischen Todesbescheinigung, die für die Erstellung der Todesursachenstatistik erforderlich sind, zentral im Bevölkerungsstatistikgesetz benannt werden. Zudem soll geregelt werden, dass im Falle von fehlerhaften Angaben auf dem Totenschein nach der ersten Leichenschau oder wenn eine nachfolgende Obduktion validere Todesursachen liefert, die nach Landesrecht für den Empfang des Totenscheins zuständigen Stellen den Auftrag erhalten, die erforderlichen Korrekturen vorzunehmen. Eine frühzeitige Änderung des Bevölkerungsstatistikgesetzes könnte auch die Einführung einer elektronischen Todesbescheinigung deutlich beschleunigen.

Der Gesetzgeber spielt damit eine entscheidende Rolle bei der Zukunft der Gesundheitsstatistik, da er durch Gesetze und Verordnungen festlegt, in welcher Periodizität und auch Qualität Gesundheitsstatistiken ermittelt werden und was sie abbilden.

4. Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen Destatis und anderen Institutionen im Gesundheitsbereich -- etwa dem BMG, dem Robert Koch-Institut (RKI), dem Paul-Ehrlich-Institut, dem BfArM oder der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e. V. (DIVI) derzeit aus? Wo bestehen engere Partnerschaften und haben sich aufgrund von COVID-19 auch neue Allianzen ergeben?

Das Statistische Bundesamt arbeitet seit vielen Jahren mit sehr vielen Institutionen im Gesundheitsbereich eng und erfolgreich zusammen, die die genannten Beispiele weit übersteigen. Das Amt führt gemeinsame Forschungsvorhaben beispielsweise für eine bundeseinheitliche elektronische Todesbescheinigung durch, nutzt Daten externer Institutionen u. a. um Gesundheitsausgaben, Krankheitskosten oder das Gesundheitspersonal zu ermitteln, das digitale Datenportal Dashboard Deutschland inhaltlich auszugestalten oder das Informationssystem der Gesundheitsberichterstattung des Bundes zu betreiben.
Engere Partnerschaften bestehen u. a. zum BMG, Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), RKI, BfArM, Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) und zur Bundesagentur für Arbeit. Neu ist die Zusammenarbeit u. a. mit der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), da die hochaktuellen Daten des DIVI-Intensivregisters von großem Interesse für das Amt sind.

Weitere Informationen zum Thema Gesundheitsstatistik:

WISTA-Aufsatz „Möglichkeiten und Grenzen der Gesundheitsstatistik in der Corona-Pandemie“

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