Hauptstadtkommunikation Der Mikrozensus: Gegenwart und Zukunft der größten Haushalts­erhebung in Deutschland

Im Interview spricht Dr. Karsten Lummer, Leiter der Abteilung Bevölkerung im Statistischen Bundes­amt, darüber, welche Neuerungen der Mikrozensus 2020 mit sich gebracht hat, wie der Mikrozensus zukünftig gestaltet sein wird und warum dafür auch die Unterstützung der Politik notwendig ist.

Als größte jährliche Haushaltsbefragung der amtlichen Statistik liefert der Mikrozensus seit über 60 Jahren Daten zur Bevölkerungs­struktur sowie zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Bevölkerung in Deutschland. Welche wichtigen thematischen und konzeptionellen Neuerungen gibt es beim Mikrozensus 2020?

Karsten Lummer: Mit dem Mikrozensus in 2020 wurden die europäischen Erhebungen zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) sowie zur Nutzung von IT und digitaler Kommunikation in den Mikrozensus integriert (IKT). Die europäische Befragung zum Arbeitsmarkt Labor Force Survey (LFS) ist schon vorher in den Mikrozensus integriert worden. Hintergrund waren zum einen die gestiegenen Anforderungen der Europäischen Union (EU), wie z.B. eine stärkere Regionalisierbarkeit für EU-SILC oder unterjährige Wiederholungsbefragungen im LFS. Wären die europäischen Erhebungs­programme EU-SILC, IKT und LFS weiterhin separat durch­geführt und an die höheren Anforderungen angepasst worden, hätte dies erhebliche Zusatzkosten verursacht.

Darüber hinaus wurde es aber auch immer schwieriger unseren Qualitäts­ansprüchen mit den bisher freiwilligen Erhebungen für die europäischen Frageprogramme gerecht zu werden. Bei freiwilligen Erhebungen ist es schwer einen sogenannten "Mittelstands­bauch" zu vermeiden, sprich auch Haushalte aus den Randbereichen in ausreichender Zahl zu erreichen. Bei einer Erhebung mit Auskunftspflicht, wie sie der Mikrozensus ist, ist dies einfacher.

Außerdem bietet der integrierte Mikrozensus ein viel größeres Potenzial die Daten der verschiedenen Frageprogramme miteinander zu verknüpfen und so noch mehr Informationen zu erhalten.

Die Pandemie hat die Durchführung von Erhebungen vor große Heraus­forderungen gestellt. Vor welchen konkreten Schwierig­keiten stand der Mikrozensus in dieser Zeit und welche neuen Chancen haben sich ergeben?

Karsten Lummer: Die Pandemie hat dazu geführt, dass wir uns quasi über Nacht von der bisherigen Art der Befragung verabschieden mussten. Der bis dahin präferierte Einsatz persönlicher Vor-Ort-Interviews war plötzlich nicht mehr möglich. Die Erhebung wurde daher häufig telefonisch durch­geführt, wir haben aber auch mit der Ausweitung der 2020 eingeführten Online-Erhebung reagiert. Die verstärkte Nutzung digitaler Erhebungs­formen hätte ohne den Einfluss der Pandemie sicherlich länger gedauert. Insbesondere bei dem äußerst umfassenden Erhebungs­teil zu EU-SILC haben wir aber auch gesehen, dass der Umstieg auf Online-Erhebungen nicht ohne Nebenwirkungen ist. Die Erhebungs­umfänge des aktuellen Mikrozensus sind mit bis zu 370 Fragen für eine qualitativ verlässliche Online-Erhebung schlicht zu groß, führen zu Frust bei den Befragten und bei uns zu vielen Nacharbeiten.

Wir haben ferner während der Pandemie erlebt, dass der Mikrozensus zu unflexibel ist. Gerne hätten wir auch andere, aktuelle Fragenstellungen ergänzt, die für Ent­scheider­innen und Ent­scheider in Politik und Verwaltung von Interesse sind. Die starren gesetzlichen Vorgaben, nach denen der Mikrozensus erhoben wird, verhindern aber heute genau dies. Wir sehen eine große Chance, bei einer Neugestaltung des Gesetzes künftig schneller und flexibler Fragestellungen zu integrieren.

Beim Zensus ist der Wechsel hin zu einem rein register­basierten Verfahren vorgesehen. Das soll Befragte entlasten und Erhebungs­kosten sparen. Welche Auswirkungen hat dies auf den Mikrozensus? Werden Register- bzw. Verwaltungsdaten auch beim Mikrozensus perspektivisch eine Rolle spielen?

Karsten Lummer: Oh ja! Sobald die Basis­register zur Verfügung stehen, möchten wir diese auch beim Mikrozensus einsetzen. Dabei würde mit dem Gebäude- und Wohnungs­register zunächst eine neue Stichproben­grundlage zur Verfügung stehen, die die derzeitigen aufwendigen Arbeiten zur Stichproben­konkretisierung im Feld erheblich erleichtert und verbessert.

Ferner wollen wir zukünftig Register- und Verwaltungsdaten nutzen, um die Befragten­belastung zu senken, indem wir die Anzahl der Fragen deutlich reduzieren. Alles was wir aus Registern erheben können, müssen wir nicht mehr erfragen. Zur aktuellen Sachlage gehört allerdings auch, dass die für den Mikrozensus relevanten Merkmale über eine sehr große Anzahl von Dateneigner verteilt sind. Wir haben also neben dem zugehörigen Gesetzgebungs­prozess noch ein großes Stück Arbeit vor uns, die sich aber lohnen wird.

Wo sehen Sie für die nächsten Jahre die Notwendigkeit von Änderungen beim Mikrozensusgesetz (MZG), damit der Mikrozensus relevant bleibt?

Karsten Lummer: Wir werden um gesetzliche Änderungen nicht herum­kommen, da in den verschiedenen Ressorts berechtigte Datenbedarfe bestehen, denen wir sonst nicht gerecht werden können. Dies wollen wir aber auch nutzen, um strukturelle Verbesserungen für den Mikrozensus zu verankern. Dies beinhaltet zum einen die Straffung und Neustrukturierung des Frageprogramms zur Entlastung der Befragten, was wiederum zu einer Steigerung der Qualität führt. Dies hilft uns zudem beim Vorantreiben der Automatisierung und der Senkung von Bereitstellungszeiten und Kosten. Zum anderen wollen wir wie oben erwähnt einen Teil des gewonnenen Platzes den politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Form flexibler Fragestellungen zu Verfügung stellen. In Krisenzeiten können wir die Politik dann so zeitnah wie möglich mit den benötigten Informationen unterstützen. Schließlich wollen wir so früh wie möglich Register nutzen, was nur gelingt, wenn wir zeitnah die gesetzliche Grundlage dafür schaffen.

All diese Maßnahmen setzen eine Änderung des MZG voraus. Und da sind wir bei einem der Hauptprobleme: Jede noch so kleine Änderung am Merkmalskranz des Mikrozensus bedarf heute einer Änderung des MZG. Das führt zu zusätzlicher administrativer Belastung und wenig Flexibilität. In einer Welt dynamischer Veränderungen ist dies nicht mehr zeitgemäß. Wir möchten das MZG dahingehend verbessern, dass wir zukünftig nur noch festhalten was erhoben werden soll, aber nicht mehr mit welchen Merkmalen. Wir hoffen damit einen Mechanismus zu implementieren, mit dem kleinere Änderungen am Mikrozensus auch ohne ein aufwändiges und langes Gesetzgebungs­verfahren durch­geführt werden können. Nur so können wir zukünftig flexibler auf Datenbedarfe, auch in Krisenzeiten, reagieren.