Hauptstadtkommunikation Interview mit Dr. Karsten Lummer und Dr. René Söllner zum Registerzensus­gesetz

Die Methode des Zensus soll schrittweise hin zu einem registerbasierten Verfahren weiterentwickelt werden. Die Daten sollen aus vorhandenen Quellen der Verwaltung und Statistik gewonnen werden. Ziel ist es, weiterhin verlässliche Basisdaten für Politik und Gesellschaft zu liefern, zum Beispiel zur Bevölkerung in Deutschland, zur Arbeitsmarktbeteiligung, zu Bildungsabschlüssen, zum Gebäudebestand oder zu den Energieträgern, mit denen Wohnungen beheizt werden. Nach Vorgaben der Europäischen Union (EU) sollen solche Informationen künftig schneller, häufiger und tiefer regional untergliedert bereitstehen.

Eine wichtige rechtliche Grundlage auf nationaler Ebene wird gerade vorbereitet: das Registerzensusgesetz. Die Federführung liegt beim Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI). Zu den fachlichen Anforderungen des Statistischen Verbunds hat das Statistische Bundesamt mit seiner Expertise beraten. Dr. Karsten Lummer ist dort Leiter der Abteilung "Bevölkerung", Dr. René Söllner operativer Gesamtprojektleiter für den Registerzensus. Im Interview geben sie einen Einblick, warum die Methode des Zensus weiterentwickelt wird, welche Weichen schon gestellt wurden, was das kommende Gesetz regelt und wie mit datenschutzrechtlichen Bedenken umgegangen wird.

Zum Zensusstichtag im Mai 2022 ging es im StatistikBrief bereits um die politische Bedeutung des Zensus. Wir warfen damals auch einen Blick in die Zukunft: Die Methode wird weiterentwickelt hin zu einem Registerzensus, der verstärkt vorhandene Quellen der Verwaltung und Statistik nutzt. Warum ist diese Weiterentwicklung sinnvoll und notwendig, wo sich doch das bisherige Verfahren bewährt hat?

Dr. Lummer: Die amtliche Statistik reagiert mit einem angepassten Modell für den Zensus auf die steigenden europäischen Anforderungen nach schnelleren, aktuelleren und kleinräumigeren Daten. Gleichzeitig wollen wir Bürgerinnen und Bürger weiter entlasten. Auch der Aufwand bei Verwaltung und Statistik soll weiter reduziert werden. Das heißt, für den Zensus benötigte Informationen sollen – wo es möglich ist und wo sie in ausreichender Qualität vorliegen – automatisiert aus vorhandenen Datenquellen gewonnen werden. Die Grundlagen für einen registerbasierten Zensus zu schaffen, ist vor diesem Hintergrund eine zentrale Maßnahme im Digitalprogramm des BMI. Dabei werden Synergieeffekte aus Verwaltungsdigitalisierung und Registermodernisierung genutzt.

Dr. Söllner: Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. September 2018 der amtlichen Statistik mit auf den Weg gegeben, dass die statistischen Verfahren des Zensus immer dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen müssen. Die Methode muss sich also zwangsläufig weiterentwickeln – demokratisch legitimiert durch den Gesetzgeber.

Wo stehen Sie aktuell mit Ihrem Projekt?

Dr. Söllner: Ein wichtiger Baustein ist der Methodentest im Themenbereich "Bevölkerung", den wir gerade nach den Vorgaben des Registerzensus­erprobungs­gesetzes von 2021 durchführen. Dabei werden die zentralen Verfahren entwickelt und geprüft, mit denen Einwohnerzahlen künftig registerbasiert ermittelt werden sollen. Datenqualität hat für uns höchste Priorität. Daneben wird gerade fachlich konzipiert, ob und wie die übrigen Merkmale des Zensus, zum Beispiel zu Bildung oder Haushalten, registerbasiert gewonnen werden können. Dafür koordinieren wir uns mit den Statistischen Landesämtern und stimmen uns mit anderen datenführenden Stellen ab. Außerdem bauen wir eine sichere, zukunftsfähige IT-Infrastruktur auf, die kontinuierlich genutzt werden kann.

Dr. Lummer: Wir können nicht einfach so auf Daten zugreifen. Ausgehend vom Registerzensuserprobungsgesetz muss der rechtliche Rahmen erweitert werden, damit vorhandene Datenquellen noch stärker als bisher zum Einsatz kommen können. Derzeit wird der Gesetzentwurf im Kreis der Ressorts abgestimmt. Die Meinungsbildung der Bundesregierung ist also noch nicht abgeschlossen. Danach geht der Entwurf in die Länder- und Verbändebeteiligung.

Was soll das Registerzensusgesetz genau regeln?

Dr. Lummer: Wir sprechen von einem komplexen Gesamtsystem, dessen Umsetzung schrittweise erfolgt. Vereinfacht gesagt soll im Registerzensusgesetz zunächst geregelt werden, wie die Ergebnisse des Zensus zu Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Bildung registerbasiert ermittelt werden können und wie die Datenqualität sichergestellt wird. Der Gesetzentwurf enthält unter anderem Bestimmungen zu den verschiedenen Datenquellen, zur Datenverknüpfung und zur Datenverarbeitung. Informationssicherheit und Datenschutz spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit dem Registerzensusgesetz wird aber auch der Aufbau und die Pflege eines Einrichtungsregisters sowie die Weiterentwicklung des Anschriftenregisters geregelt.

Dr. Söllner: Das Anschriftenregister soll eine kontinuierlich gepflegte Sammlung aller Anschriften in Deutschland für statistische Zwecke werden. Einmal aufgebaut kann es beispielsweise für die von der EU geforderte Geokodierung von Ergebnissen des Zensus genutzt werden. Durch die Historisierung des Anschriftenbestands lassen sich damit auch die Ergebnisse auf unterschiedliche Gebietsstände zurückrechnen. Das Einrichtungsregister soll Informationen zu Wohnheimen und Gemeinschaftsunterkünften bereitstellen. Damit werden Bestandteile umgesetzt, die bereits vor der vollständigen Umsetzung eines Registerzensus einen hohen Nutzen für die amtliche Statistik haben.

Für den Registerzensus sollen Daten über Behörden und Register hinweg digital miteinander vernetzt werden. Wie begegnen Sie möglichen Bedenken?

Dr. Lummer: Ihre Frage zielt auf den Datenschutz, der im Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verankert ist. Dieses dient dem Schutz der persönlichen Daten der Bürgerinnen und Bürger, denen grundsätzlich ein Selbstbestimmungsrecht über ihre Daten zusteht. Daher wurden bei den Überlegungen zum konkreten Gesetzestext datenschutzrechtliche Aspekte von Anfang an berücksichtigt. Wir führen Daten ausschließlich für den gesetzlich festgelegten Zweck zusammen. Und wie bei allen amtlichen Statistiken passiert dies hinter der sogenannten Statistikmauer: Daten, die in die amtliche Statistik fließen, unterliegen dem Statistikgeheimnis und Erkenntnisse aus der Verknüpfung von Daten werden zu keiner anderen Stelle weitergeleitet, auch nicht zurück zu den ursprünglichen Datenquellen. Dies nennt man Rückspielverbot.

Dr. Söllner: Gleichzeitig möchten wir den Bürgerinnen und Bürgern transparent machen, was mit ihren Daten passiert, und auch so um Akzeptanz für die weiterentwickelte Methode werben. Es werden umfangreiche technische und organisatorische Schutzmaßnahmen getroffen. So werden sensible Daten verschlüsselt übertragen und möglichst frühzeitig pseudonymisiert. Ein direkter Rückschluss auf Einzelpersonen ist somit nicht möglich. Auch erhält niemand Zugriff auf alle Daten. Um den Datenschutz umfassend zu berücksichtigen, haben wir schon frühzeitig den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit eingebunden.

Vielen Dank für das Interview!

Ergänzende Informationen

Auskünfte und Rückfragen an den Bereich Registerzensus