Methodische Neugestaltung des Mikrozensus ab 2020 und deren Auswirkungen
Der Mikrozensus wurde im Jahr 2020 grundlegend neugestaltet. Neben der bereits seit Langem integrierten europäischen Arbeitskräfteerhebung (Labour Force Survey, LFS) wird seit dem Erhebungsjahr 2020 auch die bisher separat durchgeführte europäische Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (European Union Statistics on Income and Living Conditions, EU-SILC) im Mikrozensus erhoben. Die Befragung zur Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in privaten Haushalten ist seit dem Erhebungsjahr 2021 ebenfalls Bestandteil des Mikrozensus. Durch die Integration dieser neuen Bestandteile ergeben sich viele neue Auswertungsmöglichkeiten.
Der neugestaltete Mikrozensus ist jedoch auch mit Änderungen verbunden. Neben dem Fragenprogramm wurden die Konzeption der Stichprobe, also auch der Unterstichproben der EU-Arbeitskräfteerhebung (LFS) und von EU-SILC, sowie mit der Einführung eines Online-Fragebogens auch die Form der Datengewinnung verändert. Die Ergebnisse ab Erhebungsjahr 2020 sind deshalb nur eingeschränkt mit den Vorjahren vergleichbar.
Ausführliche Informationen zu den Änderungen beim Mikrozensus ab 2020 beschreibt der Aufsatz "Die Neuregelung des Mikrozensus ab 2020", erschienen im Wissenschaftsmagazin "WISTA - Wirtschaft und Statistik", 6/2019.
Auswirkungen der Neugestaltung und der Corona-Krise auf den Mikrozensus 2020 im Allgemeinen
Für den neu gestalteten Mikrozensus wurde ein komplett neues IT-System aufgebaut, dessen Einführung von technischen Problemen begleitet war. Diese schränkten die Erhebungsdurchführung ein.
Verschärft wurde diese Situation durch die Pandemie im Jahr 2020, die die bisher überwiegend persönlich vor Ort durchgeführten Befragungen nahezu unmöglich machte. Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen wirkten sich nicht nur auf die Vor-Ort-Befragungen der Haushalte aus, sondern erschwerten auch die (Vor-)Begehungen, die für die Stichprobenkonkretisierung notwendig sind. Zudem wurde seitens der amtlichen Statistik als Reaktion auf die sonstigen pandemiebedingten Belastungen in der Bevölkerung das Mahnwesen überwiegend ausgesetzt. Das heißt, die Auskunftspflicht wurde nicht wie sonst üblich durchgesetzt. Zusammengenommen führten diese Faktoren zu einer geringeren Rücklaufquote als beim Mikrozensus üblich.
Die durchschnittliche Ausfallquote für die Endergebnisse aus dem Mikrozensus 2020 liegt aufgrund dieser Probleme auf Bundesebene bei ca. 35 % (Erstergebnisse ca. 38 %) und damit deutlich höher als in vorherigen Jahren. Diesen Antwortausfällen wurde auf Basis eines mathematisch-statistischen Modells begegnet.
Vertiefend bedeutet dies: Die Antwortausfälle sind fachlich, regional und zeitlich sehr unterschiedlich verteilt. Etwaigen Verzerrungen wird daher vor der Hochrechnung (Kalibrierung an die Eckwerte der Bevölkerungsstatistik) durch die Berechnung von Antwortwahrscheinlichkeiten begegnet. Hierfür müssen Informationen über die Bruttostichprobe bekannt sein. Da auch die Erfassung der Bruttostichprobe in 2020 nicht vollständig erfolgen konnte (Vorbegehungen durch Erhebungsbeauftragte waren nur eingeschränkt möglich), wurde auf Basis des Vorjahres 2019 ein synthetischer (künstlicher) Anpassungsrahmen für die Kompensation geschaffen. Dabei wurde die Annahme getroffen, dass die Stichprobenverteilung 2019 (bei zeitstabilen Merkmalen) der Bruttostichprobenverteilung 2020 entspricht. Hierdurch konnten unter Verwendung des bisherigen Verfahrens (Kalibrierung der Nettostichprobe an der Bruttostichprobe) Antwortwahrscheinlichkeiten für den Mikrozensus 2020 auf Ebene der Bundesländer berechnet werden. Dies verbessert die Ergebnisqualität.
Die Abwägung zwischen Ergebnissicherheit und Veröffentlichungspraxis führt zu einer konservativen Bereitstellung von Ergebnissen. Daher ist aufgrund der genannten Besonderheiten des Jahres 2020 die vom Mikrozensus gewohnte fachliche und regionale Auswertungstiefe nicht erreichbar.
Weitere Informationen finden Sie unter "Die Neuregelungen des Mikrozensus ab 2020".
Auswirkungen auf den Themenbereich Arbeitsmarkt
Bei Veröffentlichungen zum Thema Arbeitsmarkt besteht eine zusätzliche Unsicherheit bei der Bewertung der Ergebnisse, da sich pandemiebedingt die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt in vielen Bereichen deutlich verändert hat. So können bei den Ergebnissen nur bedingt Aussagen getroffen werden, ob diese auf reale Entwicklungen oder auf die beschriebenen methodisch-technischen Einschränkungen zurückzuführen sind. Mit zunehmender Gliederungstiefe nehmen diese Unsicherheiten zu (z. B. bei Erwerbslosenquoten in tiefer regionaler oder demographischer Gliederung).
Analysen zur Datenqualität der atypischen Beschäftigung haben Unplausibilitäten aufgezeigt, so dass Imputationen notwendig waren. Es ist davon auszugehen, dass beim Mikrozensus 2020 die Frageformulierung zur Zeitarbeit in den eigenständig zu beantwortenden Befragungsformen (Online, Papier) ohne die erklärende Unterstützung der Interviewer/-innen häufig falsch verstanden wurde und durch etliche Befragte bejaht wurde, obwohl sie sich nicht in Zeitarbeit befanden. Daher wurde für Befragte, die 2020 und 2021 online oder über Papierfragebogen geantwortet hatten, mittels eines Korrekturverfahrens (Hot-Deck-Verfahren) die Angabe zur Beschäftigung in einem Zeitarbeitsverhältnis imputiert. Dabei wird für die imputierten Werte die Wahrscheinlichkeit, dass Zeitarbeit vorliegt, vom Antwortverhalten der Befragten in den anderen interviewergestützten Modes (persönlich, telefonisch) abgeleitet. Angaben zur Zeitarbeit wurden auch 2022 teilweise imputiert, da die Anpassung an eine verbesserte Fragestellung noch nicht für alle Erhebungsmodes abgeschlossen ist.
Abgesehen von den Personen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen gibt es Auswirkungen auf verschiedene andere Arbeitsmarktergebnisse. So ist beispielsweise bei den Selbstständigen ein Rückgang von 10 % im Vergleich zu 2019 zu verzeichnen. Die Gründe für diesen Rückgang sind nicht einfach zu ermitteln. Es scheint, dass eine Reihe von Veränderungen und Effekten, zusätzlich zur Pandemie, die Messung und die Ergebnisse beeinflussen.