Die derzeit hohen Preissteigerungen haben zuletzt zu im Vergleich mit der Vergangenheit höheren Lohnforderungen der Arbeitnehmervertreter geführt. Anhand der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) kann dargestellt werden, wie sich Lohnkosten (Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer) und Verbraucherpreise in den zurückliegenden Jahren entwickelt haben.
Im Folgenden wird anhand der Ergebnisse mit Rechenstand März 2023 dargestellt, wie sich der Verteilungsspielraum in den VGR in den letzten 15 Jahren entwickelt hat. Umgangssprachlich wird in diesem Kontext oftmals von der Lohn-Preis-Spirale gesprochen, also der Tatsache, dass höhere Löhne zu höheren Preisen und diese wiederum zu höheren Löhnen führen können.
Seit 2008 lagen die jährlichen Veränderungsraten des Verbraucherpreisindex (VPI) mit 0,3 bis 2,2% auf einem moderaten Niveau, zu Beginn der Finanzmarktkrise 2008 war der Wert mit 2,6% etwas höher. Ab dem dritten Quartal 2021 erhöhten sich die Veränderungsraten des VPI jedoch deutlich auf 3,9% (drittes Quartal 2021) bis 8,6% (viertes Quartal 2022).
Die Veränderungsrate des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer, das als Maßstab für die Lohnkosten herangezogen wird, betrug in den Jahren 2008 bis 2020 in der Regel etwa 2 bis 3%, mit deutlichen Einbrüchen in den Krisenjahren 2009 und 2020.
Die Veränderungsrate des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts (BIP) je Erwerbstätigen (Arbeitsproduktivität) schwankte im Zeitverlauf deutlich stärker als die Lohnkosten.
Die Summe aus Arbeitsproduktivität je Erwerbstätigem und der Veränderungsrate des VPI wird häufig auch als ein Maßstab für den gesamtwirtschaftlichen Verteilungsspielraum für Lohnerhöhungen gesehen. Es wird vereinfachend angenommen, dass die Erzeugerpreise der Unternehmen im Durchschnitt nicht wesentlich von der Entwicklung des VPI abweichen und dass die Beschäftigten in vollem Umfang am Produktivitätszuwachs teilhaben.
Die zweite Grafik zeigt, dass bis 2020 die Veränderungsrate der Lohnkosten, also des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer, in der Regel höher als die Veränderungsrate aus VPI plus Produktivität lag. In Ausnahmejahren, wie beispielsweise Corona-bedingt im Jahr 2021, wies diese zusammengefasste Größe aufgrund eines Einbruchs im jeweiligen Vorjahr eine höhere Veränderungsrate auf (statistischer Basiseffekt).
Die in der dritten Grafik dargestellten Quartalsangaben zeigen eine schwächere Entwicklung der Lohnkosten ab dem zweiten Quartal 2021 gegenüber der Veränderung von VPI und Produktivität, trotz eines deutlichen Anstiegs der Lohnkosten im zweiten Quartal 2021. Diese Unterschreitung ist nicht ausschließlich auf den Aufholeffekt der BIP-Entwicklung im Jahr 2021 nach dem Einbruch im Jahr 2020 zurückzuführen. Während die Veränderungsrate des VPI im dritten Quartal 2021 nur geringfügig (um 0,3 Prozentpunkte) oberhalb der Entwicklung der Lohnkosten liegt, steigt diese Differenz in der Folge deutlich, von 1,4 Prozentpunkten im vierten Quartal 2021 bis auf 4,1 Prozentpunkte im dritten Quartal 2022. Im vierten Quartal reduzierte sich der Abstand wieder etwas auf 3,6 Prozentpunkte.
In den Jahren 2008 bis 2020 verläuft die Entwicklung der Lohnkosten weitgehend gleichmäßig und in der Regel oberhalb der Veränderung von VPI und Produktivität, am aktuellen Rand kehrt sich dies jedoch um. Eine Reaktion der Lohnentwicklung auf die gestiegene Inflation ist erfahrungsgemäß erst mit zeitlicher Verzögerung und vor allem dann zu erwarten, wenn hohe Inflationsraten über einen längeren Zeitraum vorliegen.